Journalistische Ergänzungen
Andrea Döring hat sich als freie Journalistin für verschiedene Tageszeitungen der öffentlichen Kunst in Ludwigshafen gewidmet. Ihre Artikel sind hervorragende Ergänzungen zu meinen doch recht kurz gehaltenen Vorstellungen der Kunstwerke, denn Andrea Döring hat das enorme Talent zu tiefgreifenden Recherchen!
Aus rechtlichen Gründen können hier nicht die Originalartikel der Zeitungen gezeigt werden; ich veröffentliche also die Grundartikel von Andrea Döring mit einigen ihrer Fotos.
Ganz herzlichen Dank, Andrea, für deine wunderbaren Ergänzungen zu dieser Page!
Hinweis: Die Fotos links zu den Artikeln stammen von Andrea Döring, die Hinweisfotos als Link vom Seitenersteller.
Bill, Max: Endlose Treppe - Croissant, Michael: Gestürzter Prometheus - Dehof, Gerd: Harlekin - Denkmal für Ernst Bloch - Ewel, Maria: GroßerTiger - Geyger, Ernst Moritz: Bogenschütze - Grzimek, Waldemar: Große Träumende - Hüneke, Knut: Insel des Friedens - Kaltenborn, Maritta: Handel und Wandel - Katase, Kazuo: Ring des Seyns - Kieselbach, Manfred: Gegen Unrecht und Gewalt - Koch, Erich: Ludwina - Kolbe, Georg: Fliegender Genius - Lehmann, Kurt: Regenmännlein - Manzú, Giacomo: Eisläuferin - Morandini, Marcello: Ombra Latina - Nolden, Rolf: Singularität - Rickey, George: Conversation II - Rumpf, Gernot und Barbara: Lutherbrunnen - Spitzer, Wolf: Lichttor - Spreng, Blasius: Pfalzsäule - Stempel-Lebert, Margot: Gestörte Ordnung - Stirnberg, Bonifatius: Pfälzer Lebensfreude
Nicht nur dem Kaiser gefiel der kräftige junge Mann (Bogenschütze, Ernst-Moritz Geyger)
„Das ist ein schöner Mann, gut trainiert“, findet Edith Stucke aus Friesenheim. Mit ihrem Mann Manfred macht sie einen morgendlichen Spaziergang im Ebertpark. Gefallen an der Skulptur fand auch der deutsche Kaiser Wilhelm II., als er Geyger 1895 in dessen Atelier besuchte. Ein 3,50 Meter hohes Gipsmodell hatte der Künstler gerade in der Berliner Achenbachstraße fertig gestellt. Der Kaiser bestellte die Figur in Kupfer getrieben. Im Ebertpark ist die Skulptur nicht ganz so kostbar und auch nicht so monumental wie sein Pedant unterhalb der Orangerie im Park von Sanssouci. Beim Ludwigshafener Bogenschützen handelt sich laut der auf Metallrestaurierung spezialisierten Firma Haber & Brandner mit Sitz in Regensburg und Berlin, die die Figur 2011 restaurierte, um eine Hohlgalvanoplastik, hergestellt von der „Galvanoplastischen Kunstanstalt Geislingen-Steige“, heute WMF. Um 1900 war WMF europaweit führend in der Herstellung von Bildwerken in dieser Technik.
Dafür stellt man eine Negativform vom Original, oft aus Gips, her. Diese wird mit Graphitpulver elektrisch leitend gemacht und dann in ein galvanisches Bad gehängt, zumeist eine Mischung von Kupfersulfat und Schwefelsäure. Mit Hilfe von Kupferschrauben und -drähten legt man den Strom flächendeckend an der Graphitoberfläche an. Das Material lagert sich dann im Inneren der Form ab. Mit Hilfe einer Kopiermaschine konnte WMF Figuren in Größen von 31 Zentimetern bis zu vier Metern herstellen. Nicht nur der deutsche Kaiser fand die Figur des Bogenschützen schick. In zahlreichen deutschen Herrenzimmern stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Kopie des athletischen nackten jungen Mannes auf den Schreibtischen.
Geyger hatte die beliebte Skultur, die Bezüge zu vielen antiken Darstellungen von Bogenschützen, zu einer Grafik von Albrecht Dürer und dem Herkuleszyklus am Brandenburger Tor aufweist, Zeitgenossen zufolge nach freiem Augenmaß hergestellt. Auch sportlichen Maßstäben wird der Künstler gerecht. „Das ist eine asiatische Technik, die heute noch beispielsweise in Japan angewandt wird“, erklärt Karlheinz Fuhry, Leiter der Langbogenabteilung der Schützengesellschaft Ludwigshafen nach einem fachkundigen Blick auf die Skulptur. „Die Sehne ankert im Daumen, der Zeigefinger ist der Auslöser“, beschreibt Fuhry die Handhaltung. Zur Stellung der Füße meint er trocken: „Das ist künstlerische Freiheit“.
Mehr Freiheit als andere Zeitgenossen gönnte sich der erfolgreiche Künstler, der 1861 in Berlin geboren wurde. Geyger hielt sich lange zu Studienzwecken in Frankreich und Italien auf. An der Berliner Akademie hatte er von 1918 bis 1927 eine Professur für Graphik inne, nachdem er 1893 nach nur fünf Monaten eine Professur an der Dresdner Akademie hingeschmissen hatte.. Er pendelte zwischen seinen Ateliers in Berlin und Florenz. In Florenz hatte er nach 1927 seinen festen Wohnsitz. In Deutschland gefielen nicht nur Kaiser Wilhelm seine Werke, auch Adolf Hitler kaufte einiger seiner Bilder und verlieh ihm 1936 einen Ehrensold. Mit dem Bogenschützen am Königsufer in Dresden nahm Geyger 1938/39 an der zweiten deutschen Architekturausstellung im Münchner Haus der Deutschen Kunst teil. Seine Skulptur entsprach dem, was die Nationalsozialisten als „schöne Kunst“ definierten: eine makellose Idealfigur, die in ihrer kriegerischen Pose die Bevölkerung auf Angriff und Verteidigung einstimmen sollte, wie der Kunsthistoriker Thomas Kantschew in seinem Buch „Das neue Dresden“erläutert. Nur wenige Tage vor seinem Tod erhielt Geyger 1941 die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft. Die Folgen des Krieges, in dessen Verlauf auch Ludwigshafen schweren Schaden nahm, hat Geyger nicht mehr kennengelernt. Seine Skulptur im Ebertpark betrachten viele Spaziergänger heute immer noch mit Interesse.
Die Seinsfrage kringelt sich vorm Klinikum (Ring des Seyns, Kazuo Kataze)
Rheinpfalz, 25.4.2020
„Ein riesiger Hula-Hoop-Reifen?“ Die Frage, was ihm der „Ring des Seyns“, ein Kunstwerk von Kazuo Katase, das die Seitenwand des „Klinikum der Stadt Ludwigshafen am Rhein“ schmückt, sagt, antwortet Helmut Schuster aus Frankenthal mit einer Gegenfrage. Mit einem Kaffee To Go steht er an der Ecke Bremserstraße/Hohenzollernstraße. Den Frühlingssonnenschein kann er nicht so richtig genießen. Seine Frau ist schwer krebskrank. Auf dem Weg zur Bestrahlung kann er sie wegen der Corona-Krise nur bis zur Eingangstür des Klinikums begleiten. Jetzt hat er viel Zeit, sich das Krankenhaus von außen anzugucken. Das Kunstwerk hat er wie viele Menschen, die an der belebten Kreuzung zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Auto oder der Straßenbahn vorbeikommen, schon gesehen, aber nicht richtig wahrgenommen.
Ein 30 Meter langer schwarzer Stahlstab liegt auf dem Dach. Durch eine grün patinierte Kupferröhre, auf dem der Stab liegt, ragt er schräg über das Gebäude hinaus. An seinem Ende hängt ein roter Ring aus Stahl mit einem Durchmesser von zehn Metern. Vor der Glasfassade, als vierter Bestandteil der Installation steht ein 26 Meter hoher, leicht schräggestellter, bräunlich oxidierter Stab aus Cortenstahl. In Corona-Zeiten nur für Patienten und Mitarbeiter zugänglich ist weiterer Ring im Inneren des Gebäudes, ein blauen Neonring in der gläsernen Treppenhauskuppel des Klinikums.
„Früher hat meine Frau gern den Hula-Hoop-Reifen kreisen lassen. Vielleicht kann sie das ja irgendwann wenigstens mal wieder probieren“, hofft er beim Anblick des Kunstwerks. Was Künstler Katase zu Schusters Gedankengängen, angeregt vom „Ring des Seyns“ sagen würde, ist im Moment nicht zu ermitteln. Katase, der 1947 im japanischen Shizuoka geboren ist, seit 1975 in Deutschland lebt, nimmt gerade eine Auszeit in Japan. Seine Werke, die international sehr erfolgreich sind, beschäftigen sich oft mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und den Antworten, die fernöstliches Denken darauf geben.
„Was hört man, wenn man nur mit einer Hand klatscht?“, fragte Zen-Meister Hakuin seine Schüler zur Einführung in diese Art des Denkens. Die Antwort auf diese paradoxe Frage findet man der Zen-Philosophie zufolge in einer Erleuchtung, in Bildern. Genauso sei es mit der Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Muss man ins Krankenhaus – und dazu noch in Corona-Zeiten – stellen sich viele Menschen diese Frage. Krankheit stellt den Alltag vieler Patienten, ihrer Familien und ihrer Freunde oft völlig auf den Kopf und lässt ihn in einem anderen Licht erscheinen. Vielleicht entstehen durch die Corona-Pandemie in den Köpfen vieler Menschen neue Bilder zum Sinn des Lebens.
Ganz handfest ist für die Behandlung von Corona-Patienten im Klinikum eine Infektionsambulanz eingerichtet. Anfang April behandelte das Klinikum 18 Corona-Patienten, davon sechs auf der Intensivstation. Zwei von ihnen stammen aus dem Elsass. Fünf Patienten werden beatmet. Doch auch in normalen Zeiten kommen Menschen aus der ganzen Metropolregion Rhein-Neckar auf der Suche nach Heilung ins das zweitgrößte Krankenhaus in Rheinland-Pfalz mit fast 1000 Betten. Es umfasst 15 Kliniken, sieben zertifizierte Organkrebszentren, sieben Kompetenzzentren und fünf medizinische Institute. Für Studenten der Universität Mainz und der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg ist das Klinikum akademisches Lehrkrankenhaus. Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Behandlung von Herzerkrankungen.
Lange vor Corona, im Jahr 1998 entwarf Katase das Kunstwerk für das Klinikum. Hier wird oft über Leben und Tod entschieden, die Seinsfrage immer wieder neu gestellt. Doch nicht nur in östliche Denkrichtungen soll der „Ring des Seyns“ weisen. Das Y im Wort „Seyn“ soll an die geistige Strömung des europäischen Humanismus erinnern, dessen Denker wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel diesen Buchstaben gerne statt des I benutzten. Hegels These, dass das Bewusstsein das Sein bestimmt, drehte Karl Marx später um. Gemeinsam glauben Humanisten jedoch, dass es ein besseres Leben für die Menschen geben kann. Besonders durch Bildung sollen sich die Menschen so gut wie möglich entfalten. Daraus ergibt sich Kritik an Verhältnissen, die dem nach der Meinung der Philosophen entgegenstehen. Die Corona-Krise lässt vieles in unserem Leben, was uns selbstverständlich und manchmal sogar lästig erschien, Schule, Uni, Kirche, Kino, Museen, Musik, Spiel und Sport in ganz anderem Licht erscheinen. Katases „Ring des Seyns“ kann bei einer neuen Bewertung kluge Anregungen geben. Auch wenn man vielleicht nur mal den alten Hula-Hoop-Reifen wieder rausholt.
Wie auf den Osterinseln (Insel des Friedens, Knut Hüneke)
Rheinpfalz, 12.5.2020
„An die Osterinseln erinnert mich das“, meint Michael Meier aus Heidelberg zu den drei lebensgroßen Steinfiguren, die vor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BG) in Ludwigshafen vor der Eingangstür im Kreis sitzen und liegen. Meier betritt den Kreis, um die Inschrift auf einer kleinen Tafel zu lesen. „Insel des Friedens“ heißt das Werk, der Künstler Knut Hüneke, seit 2003 schmückt die Figurengruppe den Eingang der BG. In die Klinik darf Meier wegen der Corona-Ansteckungsgefahr nicht hinein. Er hat einen Freund mit dessen Mutter, die gestürzt ist, an diesem sonnigen Aprilmorgen in die Notaufnahme gefahren. Jetzt wartet er auf Bescheid, wie schwer die Verletzung ist, ob er warten oder nach Hause fahren soll.
„Wo gehen wir hin? Was ist mit dem Tod? Bei den Skulpturen auf der Osterinsel geht es auch um eine spirituelle Dimension“, würdigt Hüneke die Gedanken Meiers. Der gelernte Steinmetz und Steinbildhauer Hüneke, der 1962 in Darmstadt geboren ist, lebt und arbeitet in Heidelberg-Dossenheim. Auch formal und ästhetisch hätten die Figuren mit den rätselhaften uralten Steinwesen auf der Insel vor der Küste Südamerikas zu tun, meint der Künstler. Die Felsen, aus denen die drei Steinmenschen gehauen sind, kommen zwar nicht von der Osterinsel, haben aber trotzdem weite Reisen hinter sich. Tritt man aus der Eingangstür der BG sitzt links eine Gestalt, die aus ägyptischen Rosengranit besteht. In der Mitte liegt eine Figur aus Dolerit, eine Basaltart aus Namibia. Rechts hockt ein Steinmann aus deutscher Basaltlava. Alle drei Skulpturen hat Hüneke einzeln vor Ort gefertigt und sich dabei von den heimischen Kulturen und Religionen und ihrer Geschichte inspirieren lassen. Sie bilden zwar einen Kreis, schauen aber aneinander vorbei.
Bei der Aufstellung durften Mitarbeiter der BG mitreden. Darunter war der frühere Geschäftsführer der BG Erwin Radek, der den Künstler auf einer seiner Ausstellungen kennengelernt hatte. „Wir haben im Steinbruch Figurenwerfen gespielt“, berichtet Hüneke augenzwinkernd über den Besuch der Kommission. „Verschiedene Figuren habe ich mit dem Stapler hin- und hergefahren. Als alle Gesichter gelacht haben, war die Gruppe fertig.“ Sie gefällt vielen Mitarbeitern und Patienten. Immer wieder bekommt Hüneke Mails von Menschen, die lange Zeit in der BG verbringen mussten: „Sie hat mir Ruhe gegeben“, ist oft ihre Botschaft. Auf andere Menschen hat sie eine andere Wirkung. Erwachsene kommen auf die Idee, sich draufzusetzen oder sich in den Kreis zu integrieren. Kinder würden oft gerne auf die Figuren klettern. Die Wachleute reagieren unterschiedlich. „Ich finde das eher schön, wenn es einen Kontakt gibt. Anders als bei Holz- oder Bronzeskulpturen kann ja nichts kaputt gehen“, erklärt der Künstler. Als Patient war Hüneke noch nicht in der BG. „Ich komme aus dem Handwerk, ich weiß, wie wichtig Unfallverhütung ist“, erklärt er.
Für Berufsverletzte, aber auch andere Patienten steht die BG offen. Die Behandlung von Brandverletzungen, aber auch die Unfallchirurgie und Orthopädie sind die Schwerpunkte der Klinik. Sie ist seit November 1973 auch der Stützpunkt des Rettungshubschraubers Christoph 5. Seit Montag, dem 06. April, ist der Intensiv-Transporthubschrauber Christoph 112 an der BG Klinik Ludwigshafen stationiert. Covid-19-Patienten kann er als fliegende Intensivstation beatmet transportieren. Er ist der erste ADAC-Rettungshubschrauber, der bundesweit Einsätze fliegen kann und das sogar nachts.
Von der archaisch wirkenden „Insel des Friedens“ aus kann man den technisch hochgerüsteten Corona-Hubschrauber sehen. „Durch die Corona-Krise geht es mit einem Mal darum, was übrigbleibt, wenn das Geld auf dem Konto, das Haus, das Auto, die Fernreisen an den Rand rücken. Keine Religionsgemeinschaft, kein spiritueller Verein hätte das erreichen können“, glaubt Hüneke. Umso mehr freut er sich, nach der Krise wieder Kurse geben zu können. Steinbildhauen kann man bei ihm lernen, aber auch experimentelle Archäologie. „Man findet viel über die Vergangenheit heraus, indem man einfach die Arbeitsprozesse nachmacht“ Auch auf fremde Länder ist er weiter neugierig „In Indien gibt es bis auf den heutigen Tag Orte, an denen Bildnisse hinduistischer Gottheiten aus Stein gefertigt werden. Nur wenn sie streng einem überlieferten Proportionskanon folgen, haben sie eine spirituelle Wirkung. Es ist klar, dass ein figurativ arbeitender Steinhauer diese Orte gesehen - und vielleicht sogar dort gearbeitet - haben muss.“ Als nächstes möchte er aber Göbekli Tepe, mit 12.000 Jahren die älteste Tempelanlage der Welt, in der Osttürkei besuchen, die der verstorbene Heidelberger Archäologe Klaus Schmidt ausgegraben hat. Und die Osterinsel? „Tatsächlich steht die Osterinsel und das Inka Mauerwerk in Peru schon lange auf meiner Wunschliste.“ Bis Reisen aber wieder möglich ist, ist die „Insel des Friedens“ vor der BG ein Ort, an dem man sowohl Ruhe als auch Fernweh spüren kann.
Wohin führt das Leben? (Endlose Treppe, Max Bill)
„Die Endlose Treppe“ liegt auf dem Weg von der Agentur für Arbeit zum Jobcenter. Die Skulptur stammt von dem Schweizer Künstler Max Bill. Für das Prinzip Hoffnung, das bekannteste Werk des Philosophen Ernst Bloch, wollte Bill mit den Treppenstufen ein Bild finden. Seit 1991 steht das 20 Tonnen schwere Werk aus Granit an der Berliner Straße. Sie trägt eine Bloch gewidmete Inschrift. Im Jahr 1985 wäre der berühmte Sohn der Stadt hundert Jahre alt geworden. Noch näher als das Jobcenter allerdings ist dem Kunstwerk das Wilhelm-Hack-Museum. Die Skulptur ist eine Dauerleihgabe vom Förderkreis des Museums, der Dr.-Hans-Klüber-Gedächtnisstiftung und der Stadtsparkasse. Auf dem Seminarplatz in Dessau, Ludwigshafens Partnerstadt in Sachsen-Anhalt, ist ein weiteres Werk Bills mit gleichem Namen zu finden.
Ganz unterschiedlich erscheint die Höhe der Stufen je nach Lichteinfall. Doch misst man nach, winden sich 19 Stufen ganz gleichmäßig 9,35 Meter in die Höhe. Beim Anblick der Endlosen Treppe fühlt Christian Maurer, seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, sich an Kafka erinnert. „Die Stufen führen ins Nichts. Ein Geländer ist auch nicht da. Man dreht sich im Kreis. Eine ausweglose Situation“, meint er zum Kunstwerk. Auf das Prinzip Hoffnung trifft er in einer ziemlich verzweifelten Lage. Er ist Inhaber eines kleinen Reisebüros. „Mit den vielen Reise-Stornierungen wegen der Corona-Pandemie habe ich unheimlich viel Arbeit. Die versprochenen Zahlungen sind auf meinem Konto noch nicht eingegangen, die Kosten laufen aber weiter. Mit dem Arbeitsamt hatte ich fast vierzig Jahre lang nichts zu tun“, berichtet der 57-Jährige Mitte April.
„Der Boden wankt, sie wissen nicht, warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst“, so steht auf der ersten Seite von Blochs „Prinzips Hoffnung“. Das Sein, das Materielle, was man besitzt und wie man arbeitet, bestimmen das Bewusstsein, war der Neomarxist überzeugt, aber Menschen seien auch mit einem „Überschuss“ ausgestattet. Das drückt sich Bloch zufolge aus in der Kunst, der Musik und in Utopien, Vorstellungen von einer besseren Welt. Wie man darauf hoffen lernen kann, ist in dem fast 1700 Seiten starken Werk zu lesen. Vielleicht ein guter Lesetipp in Pandemie-Zeiten. Ob Bill das Buch von vorne bis hinten durchgearbeitet hat, ist nicht überliefert. Doch der Künstler und der Philosoph waren Freunde mit gemeinsamen politischen Meinungen. Beide waren überzeugte Antifaschisten. Mehrfach hatte Bill Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland versteckt. Über die Schweiz führte Blochs Weg aus Deutschland nach Amerika. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzen sich beide in ihren Werken für die Versöhnung von Vernunft und Gefühl ein.
Bill war nicht nur Bildhauer, sondern auch Grafiker, Maler und Architekt. Als Konstruktivist arbeitet er mit geometrischen Grundformen, Farbflächen und Linien. In seinen Werken hat er oft versucht, Grundprinzipien des Daseins in eine durch mathematische Gesetzmäßigkeiten bestimmte Form zu bringen. Wohin führt das Leben? Die Antwort auf diese Frage bleibt bei der Endlosen Treppe offen. Bei anderen Werken Bills wie der „Unendlichen Schleife“, die seit 1974 im Essener Stadtgarten steht, oder „Kontinuität“, 1986, zu finden vor der Hauptverwaltung der Deutschen Bank in Frankfurt, führt die Form oft zurück zum Anfang. Die Granit-Treppe ist eines seiner letzten großen Werke Bills. Ein Jahr zuvor, 1990, widmete ihm das Hack-Museum eine große Retrospektive. 1994, drei Jahre nach der Einweihung der Skulptur, im Alter von 86 Jahren starb Bill.
Gutes Anschauungsmaterial für Mathe- und Physiklehrer könnten Bills Werke wie etwa „Strahlung aus Durchdringung“ in Lugano aus dem Jahr 1969, „Rotation um sich ausdehnendes Weiss“. Zürich, 1981 oder das Einstein-Denkmal. Ulm, 1982, bieten. Vielleicht ist die Endlose Treppe aber auch ein Fall für Reli-Lehrer und Pfarrer. Sie führt nach oben, in den Himmel. Verweist das Werk, das an den Atheisten Bloch erinnern soll, auf Gott? Nicht nur die Agentur für Arbeit und das Hack-Museum findet man in der Nähe der Endlosen Treppe, auch die Lutherkirche, die im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört wurde. Durch den Krieg und den Holocaust haben viele Menschen ihren Glauben verloren. Heute dient die ehemalige Kirche als Mahnmal, als Begegnungsstätte für religiöse Veranstaltungen, aber auch für Konzerte und gemütliches Beisammensein mit Freunden.
Wie die Endlose Schleife hat die Endlose Treppe etwas mit Bewegung zu tun, die Treppe zusätzlich aber auch mit Anstrengung und vorgegebenen Strukturen, den Stufen. Obwohl sie die gleiche Höhe haben, erscheinen sie mal schwerer, mal leichter zu erklimmen. Wohin gehen wir und welchen Weg nehmen wir? In verschiedenen Phasen des Lebens geben Menschen auf diese Fragen durchaus unterschiedliche Antworten. Durch die Corona-Krise erscheint vieles in einem neuen Licht.
Auf der Suche nach Erleuchtung (Lichttor, Wolf Spitzer)
Rheinpfalz, 29.6.2020
„Ludwigshafen war wie eine Mutter für mich“, erinnert sich Bildhauer Wolf Spitzer an seine Anfangszeit als Künstler. Einige seiner Großplastiken sind in der Industriemetropole zu finden. Zwischen Rathaus und Fußgängerzone ist seit 1979 seine Bronzefigur „Lichttor“ platziert. Oft ist sie Treffpunkt für Demonstrationen. Kerzen stellen Ludwigshafener gern zwischen den fünf Meter hohen Streben auf den Sockel aus Granit, wenn sie trauern oder wichtiger Ereignisse gedenken. Spitzer, der 1940 in Speyer geboren ist und dort lebt, verfolgt aufmerksam die Entwicklung Ludwigshafens. „Sie ist eigentlich eine Arbeiterstadt mit viel Charme. Leider liegt sie momentan am Boden“, bedauert der Künstler.
Wie man in einer solchen Situation hoffen lernen kann, ist bei Ernst Bloch zu lesen. Als Hommage an den wichtigen Philosophen der Stadt ist das Lichttor gedacht. Dessen Hauptwerk, „das Prinzip Hoffnung“, fast 1700 Seiten schwer, steht, offensichtlich gelesen, in Spitzers Arbeitszimmer im Regal. „Der Name bezieht sich einerseits auf eine profane Ebene, nämlich der bei Nacht angeleuchteten Plastik, andererseits auf eine metaphysische Ebene, nämlich die des Lichtes im Sinne von Erleuchtung“, erklärt Spitzer, der sich immer wieder in seinem Leben und seiner Kunst mit Religion auseinandergesetzt hat.
Allenfalls in religiösem Sinne kann das Lichttor heute noch zur Erleuchtung führen. Außer den Kerzen flackert hier nachts nichts mehr. Von vier Lichtpositionen im prismatischen Sockel aus sollte sie von unten nach oben im angeschliffenen Inneren mit Licht geflutet sein. Seit bei irgendeiner Umbaumaßnahme die Kabel gekappt sind, ist das Lichttor so nicht mehr zu sehen. Mit seiner Skulptur wollte er den Stadtraum zum Rathaus öffnen, und das Rathaus zur Stadt. „Das war so wunderbar angelegt“, schwärmt er vom Rathauscenter. Dem früheren Leben auf der Bismarckstraße trauert er nach. „Es tut so weh, die Stadt in diesem Zustand zu sehen“, klagt er. „Das Fieberthermometer einer Stadt steigt und fällt mit ihrem Aussehen“, weiß er. Doch der rüstige Rentner mit den wachen blauen Augen verweist auf die „Broken-Windows-Theorie“. Nach der geht immer mehr kaputt, wo man nicht repariert. Spitzer krempelt innerlich schon die Ärmel auf. „Man müsste das Lichttor mal richtig durchschleifen“, meint er.
Von seiner enormen Schaffenskraft zeugen Haus und Garten von Familie Spitzer in Speyer. Modelle und Originale schmücken die Wände und stehen auf Tischen und Regalen. Erasmus von Rotterdam steht als Statue auf einem Sockel mitten in seinem Arbeitszimmer. Anders als die abstrakten Großplastiken, die auf den Straßen und Plätzen Ludwigshafens zu finden sind, sind die Köpfe und Büsten wie etwa die von Martin Luther und Philipp Melanchthon, die in Wittenberg stehen, eher figürlich. „Ich denke gegenständlich, plastisch und konstruktivistisch. Diese Denkebenen sagen sich bei mir gegenseitig Guten Tag und Auf Wiedersehen“, erklärt er den scheinbaren Widerspruch. Aus den Negativ-Wachsformen seiner figürlichen Arbeiten bildet er gern Höhlen und Landschaften.
Das Sein, das Materielle, was man besitzt und wie man arbeitet, bestimmen das Bewusstsein, war Neomarxist Bloch überzeugt, aber Menschen seien auch mit einem „Überschuss“ ausgestattet. Das drückt sich Bloch zufolge aus in der Kunst, der Musik und in Utopien, in Vorstellungen von einer besseren Welt. Für ein schöneres Ludwigshafen hat Spitzer viele Ideen. „Ein Künstler ist kein Solitär, nicht vom Himmel gefallen. Er ist Teil einer Stadt“, weiß er. Gerne würde er seine und die Kunstwerke seiner Kollegen wieder stärker gewürdigt wissen, etwa durch die Entfernung von Graffities. Für seine Skulptur wünscht er sich von der Stadt die Reparatur der Lichtanlage. „Das Lichttor ist ein Friedensgebilde, ein Geistesgebilde“, meint Spitzer. Die Flamme, die Ludwigshafen zur Mutter vieler Künstler gemacht hat, ist noch lange nicht erloschen.
Handel und Wandel (Maritta Kaltenborn)
Oscar, sechs Jahre alt, ist auf die Bronzeskulptur „Handel und Wandel“ in der Ludwigshafener Fußgängerzone geklettert. Bequem in der Rundung sitzend packt er Bonbons aus und lutscht versonnen. Den Sockel der rund vier Meter hohen und zwei Meter breiten Skulptur kann man auch prima als Rutsche benutzen, erkennt seine kleine Schwester Luise. Beim Kaffeetrinken hat ihre Mutter sie im Blick. Maritta Kaltenborn, die Mannheimer Plastikerin und Schmiedin freut sich, wenn Kinder und Erwachsene ihre Skulptur mit allen Sinnen wahrnehmen. Seit 1989 steht das abstrakte Kunstwerk, das die Commerzbank gestiftet hat, in der Bismarckstraße nahe der Ecke zur Bahnhofsstraße.
„Mit Absicht gestalte ich die Kunstwerke so, dass man sich an ihnen nicht verletzen kann“, erklärt Kaltenborn am Telefon. Sie hat zwei Kinder und zwei Enkel. Mit 84 gehört sie noch längst nicht zum alten Eisen. Im Gegenteil, sie schmiedet weiterhin bemerkenswerte Figuren aus dem harten Metall. Sie sind – wie der Totentanz, der auf ihrer Homepage zu sehen ist – aus einem Stück gefertigt. Das ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Kaltenborn hat es damit in den Brockhaus geschafft, wie sie stolz berichtet. Ihre Eisenskulpturen sind figürlich, die aus Bronze wie „Handel und Wandel“ abstrakt.
Den Anker aus dem Ludwigshafener Wappen stellt das elegant geschwungene Kunstwerk dar. Als Symbol der Schifffahrt steht er für die Stadt am Rheinhafen. Der Ludwigs-Hafen umfasst über mehrere Standorte verteilt ein Gebiet von über 150 Hektar und schlägt wasserseitig pro Jahr rund sieben Millionen Tonnen Güter um. Damit ist er einer der größten und wichtigsten am Oberrhein. Allerdings steht Kaltenborns Anker in der Bismarckstraße auf dem Kopf. Das passt vielleicht zum Wandel der Zeiten rund um die Skulptur. Immer weniger Handel gab es seit der Schließung des ehemaligen Horten-Kaufhaus, dem Abriss der Tortenschachtel und des C&A-Gebäudes, weniger Menschen kamen vorbei.
Doch in anderer Hinsicht sind die Zeiten durchaus besser geworden. Auf den Kopf gestellt hat Kaltenborn auch das Weltbild ihres Lehrers. Bei Alfred Holzinger wollte sie in den 70er Jahren das Handwerk lernen, als die Kinder aus dem Gröbsten raus waren. „Frauen können nicht schmieden“, bekam sie von ihm zu hören. Als einzige Frau war immer sie diejenige, die ihren Amboss leerräumen sollte, wenn der Meister dem Kurs etwas vormachen wollte, bis sie sich strikt weigerte. „Sie sind inzwischen eine Meisterin geworden“ soll Holzinger bei einem späteren Wiedersehen anerkannt haben. Mit großem Durchsetzungsvermögen und viel Humor hat sie sich als eine von wenigen Frauen als Bildhauerin einen Namen in der Rhein-Neckar-Region und darüber hinaus machen können.
Mit Humor nimmt sie auch den Spitznamen zur Kenntnis, den die Ludwigshafener dem Kunstwerk verpasst haben. „Das Ohr der Verwaltung“ heißt im Volksmund die Bronzeskulptur, von der aus man das Rathaus sehen kann. Doch auch ohne Hilfsmittel ist für die Verwaltung das Klagen von Anwohnern und Geschäftsleuten über den Verfall der einst blühenden Fußgängerzone laut genug. Rund um „Handel und Wandel“ gibt es mittlerweile überwiegend Handy-Shops und Ein-Euro-Läden.
„Während die Arbeiter die Skulptur aufstellten, bin ich in der Umgebung oft spazieren gegangen“, erzählt sie. Schön fand die Mannheimerin die Ludwigshafener Einkaufsmeile damals. Gefallen haben ihr auch die anderen Kunstwerke rund ums Rathaus. Jetzt war sie lange nicht mehr da. „Ich glaube, ich muss mal wieder gucken kommen“, meint sie. Auch wenn viele Ludwigshafener ihre Fußgängerzone momentan traurig finden, in Bezug auf Kunst im öffentlichen Raum hat die Innenstadt einiges zu bieten. Doch auch in Bezug auf Handel und Wandel gibt es wieder Hoffnung. Die Hauptverwaltung der Technischen Werke Ludwigshafen (TWL) zieht in das ehemalige Horten-Gebäude, neue Geschäfte sollen im Erdgeschoss eröffnen. Ludwigshafen hat sich schon mehrfach wie Phönix aus der Asche erhoben. Vielleicht wird die Skulptur irgendwann stummer Zeuge eines neuen Erglänzens der Innenstadt.
Darstellung einer grausamen Strafe: Gestürzter Prometheus (Michael Croissant)
Jahrhundertelang quälte ein Adler auf Befehl von Göttervater Zeus den Titanen. „Gestürzter Prometheus“ heißt das Werk im Eingangsbereich des Carl-Bosch-Gymnasiums (CBG), das an nie endendes Martyrium erinnert. Seit 1965 hängt die Skulptur aus Bronze an der Außenfassade der Turnhalle. Der griechischen Mythologie zufolge schuf Prometheus die Menschen aus Ton, lehrte sie verschiedene Handwerke und Wissenschaften und brachte ihnen gegen den Willen der Götter das Feuer. Zur Strafe fraß Adler Ethon seine Leber, die sich jedoch immer wieder erneuerte. Die Plastik stammt von dem Künstler Michael Croissant, der 1928 in Landau geboren wurde und 2002 in München starb.
Informationen über Werk und Künstler blieben der Schulleitung 1965 jedoch zunächst vorenthalten. Eines Morgens im Oktober stand die Skulptur, ohne dass der Direktor Bescheid wusste, auf dem Schulhof. „Die Sportlehrer wollten es als Sportgerät verwenden, die Chemiker wollten es vorsichtig in kleine Stücke brechen und in Reagenzgläsern aufbewahren und danach untersuchen, die Erdkundelehrer hielten es für einen außergewöhnlichen Meteorit“, heißt im Jahrbuch des CBG von 1965. „Den Granatsplitter haben wir ihn immer nur genannt“, erzählt Gerhard König. Der 72-jährige Lehrer, der immer noch stundenweise am Geschwister-Scholl-Gymnasium arbeitet, war Schüler am CBG, als das Metall auf dem Schulhof landete.
Der Gestürzte Prometheus war als Kunst am Bau für die damals erst kürzlich eingeweihte Turnhalle gedacht. Mit diesem Wissen konnten die Griechisch-Lehrer „Prometheus“ übersetzen: „Der Vorausdenkende“. Vorher allerdings nicht bedacht war, dass das Werk mit einer Höhe von 3,25, einer Länge von vier und einer Tiefe von 2,5 Metern mit etlichen scharfen Spitzen und Kanten für einen Schulhof völlig ungeeignet war. Deshalb kam es an die Turnhalle. Bis heute kursiert das Gerücht, es hinge falsch herum, weil die Bauarbeiter, die bei der Montage beteiligt waren, mit dem Werk nichts anfangen konnten. Eine Untersuchung im Auftrag des Hack-Museums im Jahr 2011 widerlegt dies jedoch. Allerdings hängt das als Freiplastik geplante Werk, das von allen Seiten aus Körperhöhe zu betrachten sein sollte, nun um 90 Grad gedreht, einige Meter hoch. Wie der Künstler das fand, ist nicht zu ermitteln. Sein Frühwerk Gestürzter Prometheus fällt sowieso ein wenig aus der Reihe. Croissants international preisgekrönte Plastiken wie „Kopf“, „Figur“ oder „Stehender“ sind zumeist von klaren geometrischen Formen bestimmt. Schaut man genauer hin, erkennt man auf dem Foto am unteren rechten Rand die Gestalt eines Adlers. Würde die Skulptur wie geplant auf einem Sockel auf dem Boden stehen, würde der Raubvogel – wie auch in anderen künstlerischen Darstellungen des Themas – von oben auf Prometheus´ Leber einhacken.
Vielleicht ist die Art der Präsentation daran mitbeteiligt, dass Schüler, Eltern und Lehrer mit dem Kunstwerk oft wenig anfangen können. Auch Schulleiter Urs Böckmann, seit fünf Jahren im Amt, gehört dazu. „Ich befürchte, eine Liebesbeziehung werde ich zu diesem Kunstwerk wohl nicht entwickeln“, meint er. „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“, steht an der Tür des Gymnasiums. Engagiertes Eintreten für Frieden und Bildung ist Ziel der Schule. Prometheus hat den Menschen mit dem Feuer die Möglichkeit gegeben hat, sich selbst zu helfen. Empowerment heißt der Fachbegriff aus der Rassismus-Forschung, „Es macht mich stolz, dass Prometheus, der sich für Gleichberechtigung und Selbstermächtigung einsetzt, für unsere Schule steht“, meint eine Schülerin der zehnten Klassen. Doch er wird für seinen Einsatz mit größtmöglichem Sadismus bestraft. „Das passt vielleicht zu den Erziehungsmethoden der damaligen Zeit“, meint Ex-Schüler König. „Wer aufmüpfig war, bekam was auf den Deckel“. Wissen und Emanzipation ist jedoch – so zeigt die Geschichte – nicht ohne Gefahren. Verantwortungsvolle Lehrer berücksichtigen das in ihrem Unterricht. Auch daran kann der Gestürzte Prometheus erinnern. „Dialektik der Aufklärung“, kommentiert Kunstlehrer Emanuel Stäb fachkundig. Geschichtsbewusst ist auch Schulleiter Böckmann: „Die künstlerisch-ästhetische Bildung gehört zum Lehr- und Unterrichtsauftrag eines Gymnasiums und der gestürzte Prometheus seit über 50 Jahren zum CBG. Er ließe sich heute sicherlich eindrücklicher präsentieren und damit dem Gebäude und dem Kunstwerk eine neue Aufmerksamkeit zu Teil werden lassen. Eine Überlegung wäre es allemal wert!“
Ombra Latina (Marcello Morandini)
Rheinpfalz, 4.9.2020
Von der Sonnenglut des Augusts kann man sich rund um „Ombra Latina“ auf dem Hans-Klüber-Platz zwischen Arbeitsamt, Staatsphilharmonie und Wilhelm-Hack-Museum ein wenig erholen. Mit „Südlicher Schatten“ findet man den Titel übersetzt. An eine Sonnenuhr erinnert das Werk aus weißem Marmor und schwarzem Granit des Italieners Marcello Morandini. Doch ihren Schattenwurf zu verfolgen, ist nicht nur im Laufe eines Sonnentages interessant. Seit dem Jahr 2004, als die zehn Meter hohe Stele, die aus abwechselnd schwarzen und weißen Dreiecken besteht, im Herzen von Ludwigshafen ihren Platz fand, hat sich der Ort um sie herum grundlegend gewandelt. Wo sich früher eine scheinbar endlose lebensfeindliche Steinwüste erstreckte, blühen heute im Hack-Garten auf dem Platz je einer Palette Blumen und Kräuter, ernten Ludwigshafener Tomaten oder Kohlrabi. Auf der Bühne in der Mitte des Gartens finden Konzerte und interkulturelle Feste statt. Am 18. August des Jahres bekam er den Sonderpreis „Soziale Natur - Natur für alle“ des „UN-Dekade-Preises Biologische Vielfalt 2020“. Menschen und Pflanzen wissen den Schatten, den Ombra Latina spendet, sehr zu schätzen. Auch Morandini gefällt die Verwandlung des Platzes, von der er erst letzte Woche erfuhr. “Mit freudiger Überraschung begrüße ich dieses Projekt privater Gärten, das meine Skulptur "Ombra Latina" nun umgibt”, sagt er. In der Industriestadt Ludwigshafen und beim Hack-Museum hat er sich als Künstler und Mensch immer willkommen gefühlt.
Gießkannen und Gartenstühle stehen jetzt neben dem Kunstwerk, das unten schmal ist und nach oben immer breiter wird. Im Schatten der Stele legt Wiebke Peter (Name geändert) eine kurze Pause ein. „Haifischzähne, die wollen die umliegenden Gebäude knacken“, fällt der 59-Jährige zu den Dreiecken ein, die sich nach oben erweitern und unendlich fortsetzbar wären. Die Event-Agentur, bei der Peter seit 30 Jahren arbeitet, hat wegen der Corona-Krise Insolvenz angemeldet. Das erste Mal nach langer Zeit hat sie wieder mit der Agentur für Arbeit zu tun. Vor der Zukunft hat sie Angst. Vielleicht findet sie das Werk deswegen bedrohlich. „Kann das umfallen?“ fragt sie. Norbert Hufler, Autor der Broschüre „Künstlerischer Spaziergang durch die öffentliche Kunst im Zentrum Ludwigshafens“ und der Homepage www.kunstinlu.de hat lange über die Statik der Stele gerätselt. „Als ein Lastwagenfahrer gegen die Säule gefahren ist und ein Loch im Kunstwerk hinterließ, konnte ich ein Foto von seinem Inneren machen.“, berichtet Hufler. „Die Stabilität war mit einer inneren Stahlkonstruktion möglich, die an der Basis mit maximaler Sicherheit … im Boden verankert ist”, erklärt Morandini. Die Laster, die die Staatsphilharmonie oder das Hack-Museum beliefern, stellen für Ombra Latina keine Gefahr mehr dar, seit das Museum 2012 den Garten gründete. Morandini wollte mit den Dreiecken aus weißem Marmor aus Carrara, den schon Michelangelo verwandte und aus schwarzem Granit eine Umarmung darstellen.
Mit Dreiecken, Quadraten und Kreisen spielt Morandini gern. Seine Kunst ist konstruktiv-konkret. Man könnte Ombra Latina der Op-Art, also der optischen Kunst zuordnen, die in den 60er Jahren entstand. Beim russischen Konstruktivismus, dem Bauhaus und De Stijl liegen die Wurzeln. Mit Hilfe von Formen und Farben erzeugt Op-Art die Vorstellung von Bewegung, Flimmereffekten und optischen Täuschungen. Morandinis Werke sind in ganz Europa und Asien zu finden. Hochhäuser in Singapur und Kuala Lumpur, Fassaden für Firmengebäude wie der Porzellanfirma Rosenthal entwarf er. Bei Rosenthal kann man unter anderem auch Schalen mit seinem Design bestellen. Teppiche, Leuchten und Produkte aus Kunststoff gestaltete er zum Beispiel für Vorwerk. Mehrfach war er zur Documenta in Kassel eingeladen. Große Ausstellungen hatte er unter anderem im Hack-Museum, in der Neuen Sammlung in München oder in der Kestnergesellschaft in Hannover. Am 16. September reist er für eine Ausstellung nach Düsseldorf. Dann will er auch in Ludwigshafen vorbeikommen, seine Stele und den Hack-Garten besuchen. “Ich bin sicher, dass Ombra Latina gerne von oben die Show betrachtet, die sie jeden Tag mit Menschen, Worten, Farben, Parfums, Performances, Musik, Ideen, Regen, Sonne, Leben umgibt! Außergewöhnlich!”, findet er.
Harlekin (Gerd Dehof)
Dominik versucht auf dem Platz vor dem „Kulturzentrum Haus“ in der Innenstadt von Ludwigshafen, Handstand zu machen. Lange schafft er das noch nicht und die Beine hält er ziemlich krumm. Schon seit 1967 hält es der Harlekin, die Skulptur am Rande des Platzes, gleich neben dem Bürgersteig der Bahnhofstraße, im Handstand aus. Der Mannheimer Künstler Gerd Dehof hat die Figur aus Beton geschaffen. Auch ihre Beine sind nicht ausgestreckt. Ein breites Grinsen hat er im Gesicht, das Richtung Berliner Straße, gerichtet ist, wo sich die Agentur für Arbeit befindet. Die Anwohner protestierten gleich nach der Aufstellung. Sie glaubten, dass das ungefähr vier Meter hohe Kunstwerk den Kindern Angst einflößen würde.
„Vor dem habe ich keine Angst“, verkündet Dominik. Doch wenn man den Charakter der Bühnenfigur „Harlekin“ untersucht, kann man die Befürchtungen der Anwohner nachvollziehen. Entstanden ist sie wahrscheinlich in Zusammenhang mit der Entwicklung der Commedia dell’arte in der Renaissance. Der Harlekin kann gut und böse sein, Engel oder Teufel, Diener oder Herr. Seine Sprache ist oft ziemlich dreckig. Körperbetont und sehr exzentrisch sind seine Bewegungen. Er verkleidet sich gern, täuscht die Menschen. An Regeln hält er sich nicht, die ganze Weltordnung stellt er auf den Kopf. Aus der Figur des Harlekin entwickelte sich mit der Zeit der typische, naive Spaßmacher, der Kasper aus dem Puppentheater.
Der gefällt Kindern. Doch die ursprüngliche Figur, die oft die Stimme des Volkes erklingen lässt, kann unbequem sein. Für manch einen geriet Ende der 60er Jahre die Welt aus den Fugen. Im Jahr 1967, als die Skulptur aufgestellt wurde, bahnten sich große Veränderungen an. Proteste gegen den Vietnamkrieg begannen in Amerika. Bald rebellierten in weiten Teilen der Erde die Jungen gegen die Alten. Das könnte ein Aspekt dieser Figur sein. Als Haus der Jugend war das heutige Kulturzentrum ursprünglich gedacht. Formal ist der Harlekin an Expressionismus und Kubismus orientiert. Die geometrische Auflösung der Figur und der dynamische Sprung unterstreichen die Idee des Ungreifbaren und unruhig Bewegten dieser Figur.
Wo Dehof politisch stand, ist aus den Materialien, die man zu ihm findet, nicht zu ermitteln. Doch unkonventionell war er bestimmt. Er wurde 1924 in Zweibrücken geboren. Vor dem Krieg absolvierte er eine Schlosserlehre. Nach dem Krieg, mit 19, fing er noch einmal etwas ganz anderes an. Er machte Abitur und studierte schließlich Bildhauerei in Mannheim und Karlsruhe. Neben seiner Tätigkeit als freier Künstler lehrte Dehof ab 1957 an der Freien Akademie der Künste in Mannheim und später an der Fachhochschule für Bildhauerkunst und plastisches Gestalten. Er hatte sein Atelier im Mannheimer Sternwartenturm. 1989 starb er in Mannheim.
Nicht nur in Mannheim sind zahlreiche Werke wie das „Blumepeter“-Denkmal auf den Kapuzinerplanken oder der „Flößer“ auf dem Hauptfriedhof Mannheim zu finden. „' S Luiche“ in Zweibrücken oder das Betonrelief an der Westfassade der Christ-König-Kirche in Landau gehören dazu. Dehof arbeitete mit unterschiedlichen Materialien, mit Holz, Bronze, Stahl und Aluminium. Besonders gern verwandte er jedoch Beton. „Für uns heute ist das am leichtesten verfügbare Material der Beton, der Zement. Er gibt alles her, was gestalterisch von einem Material verlangt werden kann“, diese Worte sind von ihm überliefert. Die Figuren wirken im Gegensatz zu dem harten, schweren Material, das sehr dicht ist, leicht, weich und beweglich. Oft erzählen Dehofs Werke eine Geschichte.
Geschichten erzählen könnte auch der Platz, auf dem der Harlekin steht. Das Kulturzentrum umrahmt den Platz auf zwei Seiten. Hier fanden einige der ersten Konzerte nach dem Corona-Lockdown statt. Bald wird es hoffentlich wieder Flohmärkte geben. Beim Straßentheaterfestival können nächstes Jahr vielleicht wieder Artisten oder andere Künstler auf dem Platz auftreten, Handstand mit geraden oder krummen Beinen vorführen.
Regenmännlein (Kurt Lehmann)
Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Wer viele Bücher gelesen hat, ist zumeist gegen zahlreiche Widrigkeiten des Lebens gewappnet. Ob es aber geschickt sein mag, sich zum Schutz gegen Regen ein Buch über den Kopf zu halten, mag man bezweifeln. Kurt Lehmanns Regenmännlein auf dem Ludwigsplatz, eine rund 80 Zentimeter hohe Skulptur tut das seit fast 60 Jahren. Da sowohl das Männchen als auch das Druckwerk aus Bronze sind, haben beide Wind und Wetter gut überstanden. Das Regenmännlein ist ein Geschenk der Nachbarstadt Mannheim zum hundertsten Geburtstag der Stadt Ludwigshafen. Am 27. Dezember 1852 verlieh König Maximilian II. Ludwigshafen die Rechte einer Gemeinde. Seit 1953, dem Jahr der Aufstellung, hat sich auf dem Ludwigsplatz viel getan. Läden eröffneten und schlossen wieder. Viele Skulpturen sind dazugekommen. Nicht weit vom Regenmännlein steht jetzt, vor Regen gut geschützt, ein Bücherschrank, aus dem man Bücher ohne Bezahlung entnehmen kann.
„Ich würde ja lieber einen Regenschirm nehmen“, meint Peter Schumacher aus Mitte, der gerade das Buch-Angebot bewundert. „Jetzt hat man im zweiten Lockdown ohne Kino und Theater wieder viel Zeit zum Lesen“ sagt er. „Das Männchen habe ich mir noch nie so richtig angeguckt. Das ist ja auch so klein“, sagt er. Einen Krimi von Ruth Rendell und ein Geschichtswerk über den Zweiten Weltkrieg nimmt er mit. Zwei Weltkriege hat Lehmann miterlebt. Während des Ersten war der 1905 geborene Künstler in Koblenz noch ein Kind. Den Zweiten überlebte er als Soldat. Mit 95 Jahren starb er 2000 in Hannover. Dessen Stadtbild hat er beim Wiederaufbau stark geprägt. Seine Werke findet man aber in ganz Deutschland an Schulen, Kirchen und auf Plätzen. Wie viele von Lehmanns Figuren hat das Männlein einen kugeligen Kopf mit kindlichen Gesichtszügen, eine kleine Nase und Mund, Pausbacken und runde Knopfaugen. Der restliche Körper ist recht abstrakt. Lehmanns Werke, die von naturalistisch bis abstrakt reichen, sind durch vereinfachte Formen und klare Linien charakterisiert. Biblische oder mythische Figuren, Hirten Sitzende, Hockende und Mütter sind dabei, aber auch oft Kinder. Er hatte drei, die ihm oft als Modelle dienten.
Anfang der 30er Jahre lebte er im quirligen Berlin. Die Bildhauern Gerhard Marcks, von den Nazis als entartet eingestuft und Gustav Seitz, der nach dem Krieg freiwillig in die DDR übersiedelte, waren seine Freunde. Er reiste gern und hatte 1930 ein Stipendium in der Villa Massimo in Rom Ein Jahr nach der Machtergreifung, 1934 verließ er die Hauptstadt und zog zurück nach Kassel, wo er auch studiert hatte. Ob der Umzug mit der Politik der Nazis oder mit der Familiengründung zusammenhing, ist nicht mehr herauszufinden. Zur Zeit der Nazi-Bücherverbrennung lebte er noch in der Metropole. „Nasse Bücher brennen nicht so gut“, meint Susanne Schramm, Pfarrerin der Citykirche zu dem Kunstwerk. Durch Bücher-Bildung Schutz finden vor Nazi-Politik, sich klein machen und abtauchen. Ist das eine Haltung, die Lehmann befürwortet oder ablehnt? Es ist nicht mehr herauszufinden. Doch die Wahl seiner Freunde wie Martin Buber, österreichisch-israelisch-jüdischer Religionsphilosoph, Alexander Calder, ein US-amerikanischer Bildhauer der Moderne, der als Erfinder des Mobiles oder Werner Gilles, auch er galt bei den Nazis als entarteter Künstler, , sprechen dagegen. Während seiner Zeit als Professor an der Technischen Hochschule in Hannover, wo er nach 49 Modellieren in der Architektur-Abteilung lehrte, lud er sie in sein Atelier im Hardenberg'schen Palais am Großen Garten von Herrenhausen ein.
Nasse Bücher brennen nicht gut, aber wenn es lange regnet, kann man mit dem Inhalt auch nichts mehr anfangen. Er geht verloren, egal ob das Buch verschmurgelt oder absäuft. Ist das Regenmännlein vielleicht sogar eine politische Aussage? Es reicht nicht zu lesen, man muss auch handeln. Aus der Deckung heraustreten und sich stark machen gegen Ungerechtigkeit und Willkür gegen Demagogen und Populisten? Beim Betrachten des Kunstwerks kann man darüber auf alle Fälle nachdenken.
Pfälzer Lebensfreude (Bonifatius Stirnberg)
Daumen hoch. So sitzt die Hemshof-Friedel auf dem Ludwigsplatz. „Ich ändere das jedes Mal, wenn ich vorbeikomme. Sie soll Gitarre spielen“, meint Günter Schmidt aus Mitte und dreht Friedels Hand zum Griffbrett. Hemshof-Friedel, das Ludwigshafener Original, ist als Puppe Teil des Brunnens „Pfälzer Lebensfreude“ von Bonifatius Stirnberg. Seit der Einweihung 1991 spielen Kinder und Erwachsene gerne mit den vier Gestalten der Bronze-Skulptur. Beim Fußballer rechts von ihr denken die meisten Betrachter an Fritz Walter. Der Jäger aus Kurpfalz reitet auf einem Steckenpferd auf der anderen Seite und gegenüber befindet sich eine Tänzerin. Anders als zu vielen anderen Skulpturen soll man zur „Pfälzer Lebensfreude“ nicht aufblicken. Nur an die von Weinreben umrankte Sonne, die in ungefähr zwei Meter Höhe lacht, kommt man nicht heran.
Die Hand von Hemshof-Friedel zum Griffbrett führen, das Bein des Fußballers zum Ball, die Arme der Tänzerin in eine elegante Pose über den Kopf erheben, dem Jäger den Kopf verdrehen. „Dafür sind die Gelenke da. Das ist so gewollt“, erklärt Künstler Stirnberg aus Aachen. „Von der Hemshof-Friedel habe ich ein Foto erhalten“, berichtet er. In Zusammenarbeit mit der Stadt gestaltete er die „Pfälzer Lebensfreude“. An den Platz selbst kann sich der 87-Jährige nicht mehr erinnern. Zahlreiche seiner Bronzeplastiken schmücken Plätze in ganz Deutschland. Als Bildhauer arbeitet er immer noch in seinem Aachener Atelier. „In Immenstadt im Allgäu war ich gerade zur Einweihung von zwei Holzfällern aus Bronze, überlebensgroß“, betont er stolz. Mit Holz hat er angefangen. Holzbildhauer und Tischler gelernt.
Singen, Tanzen, Ball spielen oder in den Wald gehen, nicht nur in der Pfalz ist das ein Ausdruck von Lebensfreude. Fußball spielen auf dem Ludwigsplatz zwar höchstens mal die Kinder. Musik, Tanz und Theater aber hat die von Platanen umgebene Grünanlage schon oft erlebt. Das Straßentheater-Festival errichtet hier einige seiner Bühnen, das Tulip Inn, das frühere Europa Hotel, veranstaltet Konzerte, zahlreiche Restaurants und Bars ringsum laden zum Einkehren ein. Der Rhein ist nicht weit. Als Verkehrsknotenpunkt entstand der Platz im 19. Jahrhundert zwischen dem Ludwigshafener Kopfbahnhof und dem Winterhafen. Zwar ist nicht mehr so viel los wie vor dem Ersten Weltkrieg, als hier ein Wochenmarkt stattfand. Ein „wenig belebter Platz“, wie das Internet-Lexikon Wikipedia formuliert, ist keine gute Beschreibung.
Ob die Hemshof-Friedel, bürgerlich Elfriede Kafschinsky hier gesungen hat, ist nicht überliefert. Aber vor der Sozialbehörde war sie mit einem Schandlied zu hören: „De Maier is’ e altes Schwoi/ Der stellt mer die Sozialhilf’ oi/De Müller aus ’m zweede Stock/Ach, der miese alte Bock/ Hot kee Herz – der hot sei Freed/ On de Not vun d’ arme Leed …“, sang sie. In den Kneipen des Hemshof spielte sie für Geld. Doch das reichte nicht. Das Sozialamt lenkte nach diesem Auftritt ein und unterstützte sie. Hemshof-Friedel (1914 bis 1979) war unehelich geboren, als Findelkind ausgesetzt und Mutter einer unehelichen Tochter. Uneheliche Kinder, für die er allerdings sorgte, hatte auch der pfälzische und bayerische Kurfürst Karl Theodor (1724 bis1799). Von ihm handelt wohl das berühmte Lied „Jäger aus Kurpfalz“. Kaum jemand weiß, dass es derbe sexuelle Anspielungen enthält. „Er traf ein Mägdlein an/Und das war achtzehn Jahr…Wohl zwischen seine Bein/Da muss der Hirsch geschossen sein“ steht in den Strophen vier und sechs.
Ein Lied gibt es auch für Fritz Walter (1920 bis 2002), dem die dritte Figur gewidmet ist. Die Sportfreunde Stiller ehrten ihn anlässlich der WM 2006 mit „Dem Fritz sein Wetter“. Mit ihm als Kapitän gewann die Nationalelf die Weltmeisterschaft 1954. Der 1. FC Kaiserlautern errang mit ihm die deutschen Meisterschaften 1951 und 1953. Wenig überliefert ist zur vierten Figur, der Tänzerin. Sie bleibt ein wenig gesichtslos. Doch insgesamt zeigt „Pfälzer Lebensfreude“ starke Figuren, die sich zu Lebzeiten nicht haben verbiegen lassen.
„Warum alle Figuren als Puppen, die man manipulieren kann? Geht es bei der Skulptur wirklich um die Lebensfreude? Stellt sie vielleicht den Sinn des Daseins in Frage?“ rätselt Beate Krupp (Name geändert) aus Weinheim. Die Arbeit als Lehrerin fehlt ihr, seit sie vor einem halben Jahr in Pension gegangen ist. Viel reisen wollte sie nach dem Abschied, dann kam Corona. Nicht nur schöne Gedanken kommen ihr mit Zahnschmerzen auf dem Weg zum Arzt beim Anblick des Werkes. „Es wundert mich, dass Stirnberg als Beuys-Student solche Sachen gemacht hat, aber man muss als Künstler schließlich auch leben“, meint als sie von seiner Lebensgeschichte hört. In Düsseldorf war unter anderem Joseph Beuys Anfang der 60er Jahre sein Lehrer. Anders als Beuys, der sich Ende der 50er Jahre von der konservativen Bildhauerei verabschiedet hatte, feiert Stirnberg mit figürlicher Kunst Erfolge. „Immerhin hat der Künstler den Betrachter dazu eingeladen, mit seinem Werk zu interagieren“, meint Krupp versöhnlich. Und so spielt die Hemshof-Friedel je nach Stimmung des Betrachters Gitarre oder hält den Daumen hoch.
Sechs Küken und eine Leseratte: Lutherbrunnen (Gernot und Barbara Rumpf )
Auf dem Sessel des Papstes thront heute Gamze Özdemir. Mit ihren Freundinnen klettert sie auf dem Lutherbrunnen herum. Seit 1992 lädt das Denkmal auf dem Lutherplatz zum Klettern und Spielen, zum Erfrischen und Entspannen ein. Das Bildhauerpaar Gernot und Barbara Rumpf aus Neustadt an der Weinstraße haben den Brunnen geschaffen. Wo heute das Wasser vom Holzkreuz zum Skulpturenteil mit vielen Sandsteinstufen und unterirdisch wieder zurück plätschert, stand bis zum Zweiten Weltkrieg die Lutherkirche, die größte protestantische Kirche in Ludwigshafen. Nur der 61 Meter hohe Turm, nach der Hausnummer Turm 33 genannt, der auch den Eingang bildete, blieb als Mahnmal erhalten. Heute beherbergt er ein italienisches Restaurant. Wo das Kirchenschiff früher einmal endete, kann man an der Umrandung des Platzes mit Bänken und Blumen erkennen. Er dient inzwischen als Begegnungsstätte, als Ort für Freiluftkonzerte, für kirchliche Kultur- und Bildungsangebote. Der Lutherbrunnen steht am Platz des einstigen Altars.
„Den Namen habe ich schon mal gehört“, fällt der zwölfjährigen Muslimin zu Luther ein. In Geschichte sind sie wegen Corona erst bei Christoph Columbus, in Ethik sprechen sie gerade über Vorbilder. Luther kommt wahrscheinlich später. Doch den Lutherbrunnen kann sie schon jetzt mit allen Sinnen begreifen. „Als Bildhauer muss man bedenken, dass Kinder haptisch leben“, meint Gernot Rumpf. „Unsere Skulpturen werden schöner, wenn sie benutzt, bespielt und erklettert werden. Die Politur ist umsonst“, meint Barbara Rumpf augenzwinkernd. „Bakterien, die sich auf Bronze setzen, fallen tot um. Metall ist antiseptisch“, meint sie zur Corona-Gefahr. Besonders gut gefallen Gamze die vielen kleinen Tiere, die das Künstlerehepaar mit viel Sinn für Humor in dem Ensemble dargestellt hat. Nicht nur Mensch und Tier stehen sich hier gegenüber. Der Brunnen vereint viele Gegensätze. Festes und Flüssiges wie Sandstein und Wasser, Holz und Metall wie das Kreuz und die Bronzeskulpturen, Mann und Frau, Martin Luther und Katharina von Bora, evangelisch und katholisch. „Meine Frau hat Katharina modelliert, ich den Martin“, berichtet Gernot. „Sie ist katholisch, ich evangelisch“. Gegenüber stehen sich auch der Hocker, auf dem Luther beim Streitgespräch mit dem Papst Leo X. saß und der Papststuhl. Auf dem sitzt jetzt Gamze. „Gott ist die Liebe“, dieses Bibelzitat, das auf den Stufen steht, fällt ihr auf. „Das glaube ich auch“, meint sie.
„Gott ist die Liebe war der wichtigste Satz in der Bibel für Friedhelm Borggrefe“, berichtet Susanne Schramm, Pfarrerin der Citykirche, die für den Platz zuständig ist. Borggrefe war zur Zeit von Planung und Bau des Brunnens Dekan der evangelischen Kirche in Ludwigshafen. In Zusammenarbeit mit dem Künstlerehepaar entwickelt er zahlreiche Ideen zur Gestaltung des Platzes. „Ihm war eine Kirche ohne Mauern wichtig. Sie sollte locker filigran und durchlässig sein. Jeder soll reinkommen können“, erinnert sich Gernot Rumpf. „Es ist so lebendig, wenn man auf dem Platz sitzt“, freut sich Schramm. An Rumpf-Brunnen sei immer viel zu entdecken, erklärt sie. „Katharina von Bora hatte sechs Kinder. Am Brunnen ist sie mit sechs Küken auf dem Rücken dargestellt“. Als Managerin des Lutherhaushalts, der immer wieder zahlreiche Menschen beherbergte und verköstigte, ist Katharina mit Kochlöffel und einer Stange Lauch dargestellt. Der Brunnen im Herzen der Stadt ist bundesweit das einzige gemeinsame Denkmal des Paares. „Martin ist mit einer Buchpresse dargestellt“, weist Schramm hin. Nur dank der Erfindung von Johannes Gutenberg war die massenhafte Verbreitung von Luthers deutschsprachiger Bibelübersetzung möglich. „Weil er so viele Lieder gedichtet und komponiert hat, ist ein kleiner Vogel bei ihm zu sehen“, weiß die Pfarrerin. „Was soll denn die kleine Maus?“ fragt Gamze. Mit einer Riesen-Brille auf der Nase liest sie in einem dicken Buch. „Das ist eine Leseratte“, meint Barbara Rumpf. „Das ist meine Unterschrift, man findet eine Maus an den meisten unserer Kunstwerke“, erklärt Gernot Rumpf. Mit einem Bein steht Gamze jetzt in dem kleinen Bachlauf. Im Sommer fließt hier Wasser. „Das lebendige Wasser fließt zwischen Kreuz und Leben“, deutet Theologin Schramm das Kunstwerk. Viel Leben ist auch im Restaurant „Torre da Angelo“. Hier gibt es Pizza, Pasta und andere italienische Spezialitäten. Beim Servieren im Freien muss Familie Montana immer wieder über den Bachlauf schreiten. Nasse Füße gab es dabei noch nicht – jedenfalls nicht aus Versehen.
Auf dem Sprung: Eisläuferin (Giacomo Manzù)
Mit kerzengeradem Rücken ragt die riesige Eisläuferin in Ludwigshafen Mitte in die Höhe. Die Bronzeskulptur des italienischen Künstlers Giacomo Manzù, die seit 1957 in Ludwigshafen an verschiedenen Plätzen zu sehen war, schmückt seit 1992 den Ludwigsplatz. Rank und schlank mit überdimensional langen Beinen hat der Künstler die zwei Meter hohe Mädchenfigur präsentiert. Die Haare sind nach Tänzerinnen-Art straff hochgebunden. Ernst und hoch konzentriert wirkt das Gesicht, die Augen sind halb geschlossen. Einen Arm hält sie vor dem Bauch, den anderen hinter dem Rücken. Leicht bauscht sich ihr Kleid. Vielleicht setzt sie zu einem Sprung oder einer Pirouette an.
„Richtig Spaß hat die nicht“, meint Alina (Name geändert), die gerade auf dem Weg zur Schule ist. Auch Alinas Laune ist nicht die beste. Die Zwölfjährige teilt sich ihr Zimmer mit der sehr viel älteren Schwester, die bereits studiert. Ganz unterschiedlich sind die Bedürfnisse und der Tagesablauf der beiden. Im Carl-Bosch-Gymnasium kann Alina immerhin – natürlich mit Abstand – in der „Study Hall“ in Ruhe arbeiten. Die zwei Computerräume der Schule stehen nach Anmeldung für Schüler*innen bereit, die zu Hause wenig Platz oder keine technischen Geräte zur Verfügung haben. „Ich würde gern mal wieder mit meinen Freundinnen Schlittschuh-Laufen“, sagt sie. Doch das Eisstadion ist wegen Corona geschlossen.
Ob Manzù eislaufen konnte, ist nicht überliefert. Aber Tänzerinnen oder Eisläuferinnen faszinierten ihn schon früh. In vielen Ländern kann man Frauenfiguren von ihm finden. Unter dem Namen „Dancer“, also Tänzerin, steht ein anderer Abguss der Skulptur im Hirshhorn Sculpture Garden in Washington. Im Gegensatz zu deren tänzerischen Eleganz und Körperbeherrschung stehen zahlreiche von Manzù geschaffene Bronzekardinäle, die mit langem, pompösem Mantel und prächtigem Kardinalshut machtvoll und unbeweglich wirken. Doch Manzù war nicht nur Bildhauer, er arbeitete auch als Grafiker und Zeichner und entwarf als Medailleur Münzen für die Republik San Marino und Medaillen für den Vatikan.
Manzù, eigentlich Manzoni (1908-1991), kam als zwölftes von vierzehn Kindern im italienischen Bergamo zur Welt. Sein Vater war Schuhmacher und Kirchendiener. Schon mit 21 konnte Manzù zum ersten Mal nach Paris reisen, wo Pablo Picasso, Auguste Rodin und Edgar Degas ihn beeinflussten. Während der Zeit des Faschismus ging er in den Widerstand. Er war Kommunist und blieb es auch nach dem Ende der Diktatur. Dennoch hatte er beste Beziehungen zum Vatikan. Für das Portal des Petersdoms schuf er 1963 die Porta della Morte in Erinnerung an seinen Freund Papst Johannes XXIII, von dem er auch eine bronzene Totenmaske anfertigen durfte.
1954 lernte er seine spätere Frau kennen. Sie wurde sein Lieblingsmodell. Für Inge Schnabel war Tanzen Arbeit. Von Beruf war sie Primaballerina am Salzburger Landestheater. Vielleicht erklärt sich auf diesem Hintergrund der Ernst und die Anstrengung, die die Skulptur ausstrahlt. Wie die meisten seiner Werke ist die Eisläuferin zwar ganz altmodisch figürlich. Sie zählt zur Epoche des Spätimpressionismus. Aber vieles ist, wie zum Beispiel die Schlittschuhe an den Füßen oder die Kleidung, allenfalls angedeutet und damit sehr modern. Auch die Bewegung scheint auf den ersten Blick gar nicht zu existieren.
Manzùs Skulptur könnte den Beginn einer Bewegung darstellen, eine Auflösung aus der Starre. Auf die Zukunft gerichtet könnte man die aufrechte Haltung und die Kraft der Tänzerin deuten. Von Corona und den Folgen für die Menschen konnte der Künstler, der 1991 in Ardea, in der Nähe von Rom starb, natürlich nichts gewusst haben. Als Kommunist hoffte Manzù, dessen Atelier in Ardea seine Frau nach seinem Tod in ein Museum verwandelte, allerdings nach Ende des Krieges und des Faschismus auf eine bessere Welt. Seine Skulptur mag ein Bild für eine zarte Veränderung, einen neuen Anfang darstellen. In Pandemie-Zeiten kann sie dazu ermuntern, sich auf den Frühling zu freuen.
Verborgene Schönheit: Conversation II (George Warren Rickey)
Eine Windbö fährt über den Berliner Platz, der an einem Januar-Vormittag während des zweiten Lockdowns wie leergefegt wirkt. Außer den Bussen und Straßenbahnen, die hier halten, bewegt sich wenig im Zentrum Ludwigshafens. Doch zwei riesige stählerne Ecken auf einer Stele – insgesamt ist die Skulptur acht Meter hoch - fangen an, sich unabhängig voneinander parallel zu drehen. Wenn beide übereinander liegen, bilden sie den Buchstaben „L“. Wenn sie sich gegenüberstehen, wird ein „U“ draus, zusammengesetzt „LU“ das alte Kfz-Kennzeichen von Ludwigshafen. Conversation II heißt das Kunstwerk auf dem Ludwigshafener Verkehrsknotenpunkt. Geschaffen hat es der US-amerikanische Bildhauer George Warren Rickey. Zur Jahrtausendwende hat die BASF der Stadt die Skulptur geschenkt.
„Ein Mobile für Erwachsene“, meint Edgar Schuster aus Frankenthal zu dem Kunstwerk. Auf dem Weg zur Arbeit mit dem Zug kommt er vom Bahnhof Walzmühle fast täglich an der Skulptur vorbei. Das Werk gehört zur Kinetischen Kunst. Rickey wurde 1907 in Indiana geboren. In Schottland wuchs er auf. Er studierte in Oxford Geschichte, Kunst in Paris, New York und Chicago, wurde Lehrer, Professor und freischaffender Künstler. Noch im hohen Alter pendelte er zwischen New York, Kalifornien und Berlin, wo er ein Atelier hatte, hin und her. 2002 starb er im Alter von 95 Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg widmete Rickey sich in seinen Werken immer stärker der Bewegung. Zunächst arbeitete er an beweglichen Skulpturen aus Glas. Doch bald schon verwendete er einfache geometrische Formen, die er in Stahl umsetzte und mit Hilfe von Stahlstäben und speziellen Kugellagern so aufhängte, dass sie sich nur durch die Schwerkraft und den Wind bewegten. Anders als andere Vertreter der Kinetischen Kunst wie Alexander Calder oder Marcel Duchamp konnte er so seine mobilen Skulpturen ohne Motoren als Antrieb im Freien aufstellen.
Aus den großen, schweren Formen wie bei Conversation II lassen nun Luftbewegungen und die Erdanziehungskraft scheinbar schwerelos schwebend immer neue Figuren entstehen. Nicht nur die Stahlformen stehen scheinbar im Dialog, wie schon der Name nahelegt, auch die Schwere des Materials und die Leichtigkeit der Bewegung stehen einander gegenüber. Schließlich sollen auch die Betrachter sich mit dem Werk auseinandersetzen und darüber sprechen. Rickeys Skulpturen sind in Museen zu sehen, vor zahlreichen öffentlichen Gebäuden oder auf Plätzen in aller Welt. Conversation I, die Schwesterplastik der Ludwigshafener Conversation, steht in Grenoble. Auch in Mannheim gibt es einen Rickey. In der Kunsthalle ist die kinetische Wandplastik Two Open Triangles up Wall II seit 1982 zu sehen.
„Ehrlich gesagt habe ich mir über Sinn und Zweck des Ganzen bis jetzt gar keine Gedanken gemacht“, erklärt Schuster. Doch in völligem Gegensatz zu der Gleichgültigkeit, die die meisten Passanten an diesem Morgen dem Werk von Rickey entgegenbringen, stand der Sturm der Entrüstung, der in den Jahren 1974 und 75 über Münster hereinbrach. Drei rotierende Quadrate, ebenfalls ein Werk von Rickey, kaufte die Stadt in Nordrhein-Westfalen für 130.000 DM. In der Folge lieferten sich Freunde und Feinde moderner Kunst eine heftige Debatte. Der Streit endete 1977 mit Einrichtung der Skulptura. Seither kann man in Münster alle zehn Jahre in der ganzen Stadt interessante Kunstwerke und Projekte betrachten.
In Ludwigshafen sollte – so lautete der Plan kurz vor der Jahrtausendwende - der Stahl in der Sonne leuchten und sich in der Wasserfläche drum herum auf dem belebten Platz spiegeln. Die Sonne schien in den letzten 22 Jahren immer mal wieder recht intensiv auf das Kunstwerk. Im Zuge von Sparmaßnahmen legte die Stadt jedoch diesen und zahlreiche andere Brunnen trocken. Nach dem Abriss der Hochstraße, der Tortenschachtel und des C&A-Gebäudes schlummert das Zentrum Ludwigshafens in der Corona-Krise von Bauzäunen umgeben im Dornröschenschlaf. Die Pracht und Bedeutung von Conversation II bleibt unbeachtet. Vielleicht kommt ja ein Prinz und küsst Ludwigshafen wach. Doch die Erfahrung von Prinzessinnen und Städten lehrt: Am besten nimmt man sein Schicksal selbst in die Hand.
Weder Frau noch Mann: Fliegender Genius (Georg Kolbe )
„Das ist doch eine Frau“, meint Joachim Wolf ganz entrüstet, als er das Schild am Sockel der Figur auf dem Ludwigsplatz liest. Der fliegende Genius von Georg Kolbe (1877-1947) ist eine androgyne Gestalt mit Busen und einem eher männlich-markantem Gesicht mit kurzen Haaren. Aus Bronze hat der Bildhauer und Medailleur 1928 die 1,36 Meter große Skulptur geschaffen. Zwischen den Beinen windet sich ein Tuch, das die Scham jedoch freilässt. Penis oder Vulva fehlen. Auch Flügel oder ein Fallschirm sind nicht zu finden. Auf einer gestaltlosen Form, die an einen Fels oder eine Wolke denken lässt, kniet die Figur in aufrechter Haltung. Sie guckt nicht in die Flugrichtung. Das Fliegen scheint ihr nicht gut zu gelingen.
Mit großen Flügeln findet man Genien auf römischen Sarkophagen abgebildet. In der römischen Religion waren sie persönliche Schutzgeister von Männern und Ausdruck ihrer Persönlichkeit, ihrer Zeugungskraft und der Bestimmung ihres Schicksals. Auch Orte wie Märkte, Theater, Städte und Provinzen konnten einen Genius haben, den Genius loci. In der Vorhalle des ehemaligen Hallenbads Nord Ludwigshafen fand Kolbes Fliegender Genius bei dessen Einweihung 1956 seinen Platz.
Darüber ob die Figur als Schutzgeist des Hallenbades, in dem Helmut Kohl gerne saunierte, erfolgreich war, kann man geteilter Meinung sein. Ende 2001 schloss das Hallenbad zum Bedauern vieler Ludwigshafener. Das Wasser im Schwimmbecken dient seit 2015 nicht mehr zum Baden, sondern als Löschwasser für das benachbarte Müllheizkraftwerk. Immerhin finden in der Halle mittlerweile Konzerte und Kunstausstellungen statt. Unter dem Namen „Freischwimmer“ verwandelten sich Sauna und Umkleidekabinen zu einem Zentrum für Start-up-Unternehmen. Der Fliegende Genius landete nach der Schließung auf dem Ludwigsplatz.
Kolbes Skulptur hatte zahlreiche Geschwister. Auf öffentlichen Plätzen, in Museen und auf einem Friedhof stehen die, die den Zweiten Weltkrieg überdauert haben. In der Kunsthalle Mannheim sind Köpfe und eher zarte weibliche und männliche Figuren mit ebensolchen allgemeintypischen Zügen wie beim Ludwigshafener Genius zu finden. An der unregelmäßigen Oberflächengestaltung lässt sich noch der Arbeitsprozess an der ursprünglichen Tonform erkennen, auf deren Grundlage die Plastik in Bronze gegossen wurde. Im Expressionismus zu Beginn des 20.Jh. war das üblich als Element des Ausdruckssteigernden. Einflussgebend ist der französische Bildhauer Auguste Rodin gewesen.
Der berühmteste „Fliegende Genius“ von Kolbe mit einer Höhe von 2,30 Meter stand im Berliner Opernhaus. Während des Krieges ist er verschwunden, nachdem die Nationalsozialisten ihn aus dem Opernhaus entfernen ließen. „Das Werk hat dem Preuß. Ministerpräsidenten Herrmann Göring nicht gefallen“, zitiert Kolbe1935 in seinen Gedanken und Notizen die Begründung für das Entfernen der Skulptur. In der gleichen Notiz erfährt man, dass er der Skulptur das Gesicht seiner Frau, der holländischen Sängerin Benjamine van der Meer de Walcheren verliehen hat. Sie starb 1927, dem Jahr, als Kolbe den Auftrag für das Werk erhielt. „Ich hatte sie (die Skulptur) im Stillen Ben gewidmet und somit ´Ben-Genius´ getauft…Für das Haus der Musik, in dem unsere Ben viele Jahre Glück fand.“
Dieses Gesicht hat auch der Genius auf dem Ludwigsplatz. Vielleicht erklärt das, warum die Skulptur so unbestimmt wirkt, weder eindeutig Mann noch Frau. Das passt in die aktuellen Genderdiskussionen, von denen Kolbe natürlich nichts wissen konnte. Die wilden 20er Jahre waren in Bezug auf das traditionelle Verständnis von Geschlechterrollen und Sexualität zwar von Aufbruchsstimmung und Veränderungswillen geprägt. Allerdings warf der verlorene Erste Weltkrieg seinen Schatten auf diese Zeit und der Nationalsozialismus fing in den Wirren der Weimarer Republik an zu keimen. Dieser Genius, der mal so viel Schwung hatte, ist nicht mehr flugfähig, Kraft und Mut haben ihn verlassen. Niemanden kann er mehr beschützen. Die Machtergreifung Hitlers 1933 kann man in Anbetracht dieser Ohnmacht 1927 vielleicht erahnen. Der Schutzgeist aus Ludwigshafen fliegt passend zur Corona-Krise nirgendwo hin. Da hilft nur, sich selber zu schützen und das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.
Sterbende Sterne: Singularität (Rolf Nolden)
Mit seinen Rollschuhen kurvt Pjotr über die Bögen von „Singularität“. Die Sonne scheint während des Lockdowns auf das stählerne Kunstwerk von Rolf Nolden, das unter der Miro-Wand des Hack-Museums in den Boden eingelassen ist. Zehn Zentimeter ist es hoch. Das reicht Pjotr, um mit viel Schwung vom Kunstwerk abzuheben, die Schwerkraft zu überwinden und ein Stückchen zu fliegen. Mit Gravitation hat das Kunstwerk viel zu tun. Nolden widmete es dem Astrophysiker Stephen W. Hawking und den Schwarzen Löchern.
„Kann man da reinfallen?“, fragt Pjotr. Der achtjährige Junge aus Polen, der mit seiner Mutter die Sonne genießt, hat von Schwarzen Löchern noch nie gehört. Auch Hawking sagt ihm nichts. Der wurde in den 1960er Jahren berühmt durch den Beweis der Notwendigkeit der Existenz von Singularitäten in der allgemeinen Relativitätstheorie. Die Relativitätstheorie befasst sich mit der Struktur von Raum und Zeit sowie mit dem Wesen der Gravitation. Raum und Zeit sind, so fand Albert Einstein heraus, nicht wie bis dahin angenommen, überall gleich. Sie hängen ab vom Standpunkt des Betrachters.
Singularität heißt auf Deutsch Seltenheit oder Einzigartigkeit. In der Mathematik ist das eine Stelle in einer Kurve oder Fläche, die eine Besonderheit aufweist. In einer Funktion beispielsweise, in der man eins durch x teilt und x ist winzig klein, geht der Wert der Funktion insgesamt ins Unendliche. In einem Schwarzen Loch ist sehr viel Masse auf kleinem Raum konzentriert. Deswegen wird seine Anziehungskraft riesig. Es verschluckt alles in seiner Nähe, selbst das Licht. Die Masse krümmt die Raumzeit um sich herum so stark, dass man von einem Loch im Gefüge des Raums sprechen könnte, genauer nennt man es jedoch Singularität. Schwarze Löcher können aus sterbenden Sternen entstehen, deren Masse in sich zusammenfällt.
Auf den ersten Blick wirkt „Singularität“ wie eine Spirale. Spiralnebel im Weltall bestehen aus Milliarden von Sternen, der Eindruck des Nebels entsteht durch die Betrachtung aus großer Entfernung. Innerhalb eines Spiralnebels entstehen und vergehen Sterne. Doch wenn man genauer auf das Werk guckt, sieht man, dass das es aus zwei Quadraten besteht. Sie sind in fünf konzentrische Kreise zerschnitten, aus denen je sechs bogenförmige Elemente gemacht sind. Diese sind entlang der Kreise um den gemeinsamen Mittelpunkt verdreht. Insgesamt ist „Singularität“ 6,72 Meter breit, 5,17 Meter lang und 9,6 Tonnen schwer. Was auf den ersten Blick eindeutig erscheint, fängt bei näherer Betrachtung an zu verschwimmen. Handelt es sich bei den Formen um Quadrate, Kreise oder Bögen? Sterne, die sterben oder entstehen? Die Formen könnte man beliebig wiederholen. Man könnte sie völlig neu ordnen, vielleicht sogar aufstellen, so dass sie in immer anderem Bezug zur Umgebung wahrgenommen werden. Den Titel könnte man - wenn man ihn nicht als mathematischen oder physikalischen Fachbegriff sieht - als Irritation begreifen, der zum genauen Betrachten auffordert.
„Singularität“ ist der konstruktivistischen Kunst zuzuordnen. Die beschäftigt sich mit der Gestaltung von Form als Ausdruck von Gesetzmäßigkeiten. Dazu sagt Nolden, der 1954 geboren ist und in Münster lebt und arbeitet: „Das Material ist wandelbar und gibt mal der einen, mal der anderen Form den Vorzug. Für unsere Wahrnehmung bedeutet das das Einräumen von momentanen Prioritäten… Die vermeintliche Notwendigkeit des einzelnen, so auch unseres gesamten Universums, ist lediglich eine Wirklichkeit gewordene Möglichkeit zur Erhaltung eines ebensowenig notwendigen Systems, dessen Ausschließlichkeit wir nur deshalb annehmen, weil unsere Existenz von ihm abhängt.“
Corona hat vieles, was uns sicher und selbstverständlich erschien, in Frage gestellt. Morgens gehen wir ins Büro, abends geht man ins Kino oder in die Kneipe, im Urlaub fährt man in den Süden. Die Kinder lernen in der Schule und spielen nachmittags auf dem Spielplatz. Ein Kunstwerk betrachtet man im Museum oder im öffentlichen Raum mit Ehrfurcht. Vieles ist durch die Pandemie nicht mehr so, wie es einmal war. Manches vermissen wir, einiges werden wir anders machen, auch wenn der alte Trott wieder möglich sein wird. Ob Pjotr dann auf „Singularität“ dann immer noch Rollschuh läuft, wird sich zeigen.
Ein Plädoyer gegen das Unrecht: Geschwister Scholl ( Manfred Kieselbach )
Fünf aufrecht stehende menschliche Figuren, deren Gesichter nicht ausgearbeitet sind, stehen vor dem Geschwister-Scholl-Gymnasium in Ludwigshafen-Süd. Von hohen Mauern sind die Skulpturen aus Bronze umstellt. Doch Schultern und Kopf sind frei. Zu ihren Füßen stehen Teelichter und Kerzen, aber auch Chipstüten und Pizzakartons liegen neben den Mülleimern. Das Mahnmal „Gegen Unrecht und Gewalt“ des Mannheimer Bildhauers Manfred Kieselbach (1935-2018) erinnert seit 1991 an die Weiße Rose. Die Gruppe, die hauptsächlich aus Münchener Studenten bestand, leistete während des Zweiten Weltkriegs Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1943 wurden sie hingerichtet.
Vier der Skulpturen, drei Männer und eine Frau, wie man an den ausgearbeiteten Geschlechtsmerkmalen erkennt, sind auf den Platz vor der Schule ausgerichtet. Das Gesicht eines weiteren Mannes schaut zum Schulgebäude. Zum inneren Kreis der Weißen Rose gehörten die Studenten Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf, sowie der Universitätsprofessor Kurt Huber. Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf hatten 1942 bei ihrem Fronteinsatz von den Massenmorden in Polen erfahren und das Elend im Warschauer Ghetto beobachtet. Zurück in Deutschland bewegten die nationalsozialistischen Verbrechen die Studenten zusätzlich zum Widerstand. Professor Huber unterstützte sie dabei. Warum nur vier statt fünf Figuren abgebildet sind, bleibt offen.
Schulen, Universitäten und auch die Jugendarbeit unterschiedlicher Einrichtungen spielen eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von humanistischen Werten. Vielleicht soll die Figur, die zur Schule ausgerichtet ist, den Lehrer darstellen, der sich im und außerhalb des Unterrichts für Toleranz, Akzeptanz und Zivilcourage einsetzt. Diese Werte sollten die Schüler*innen und Student*innen dann auf ihren Alltag beziehen und in die Welt hinaustragen können, wie die Mitglieder der Weißen Rose dies versucht haben.
Das Geschwister-Scholl-Gymnasium ist sich der Verantwortung, die mit seinem Namen und dem Denkmal verbunden ist, sehr bewusst. Zu den Figuren findet man folgende Interpretation auf einer Tafel im Inneren des Gebäudes: “Sie heben sich aus der Menge heraus, die hier durch die Quader dargestellt ist. Somit durchbrechen die Figuren sowohl in der Plastik als auch durch ihr Handeln eine Mauer von Hass und Gleichgültigkeit.“ Jedes Jahr gedenkt das Gymnasium Ende Februar seinen Namensgebern mit einem Veranstaltungstag. "Es wichtig, dass die Schüler wissen, wer die Namensgeber ihres Gymnasiums sind. Sie sollen verstehen, dass man für die Freiheit auch kämpfen muss", sagt Pfarrer Richard Zurheide, der den Tag koordiniert. In diesem Jahr wird die Stadt den Platz vor der Schule auf Initiative der Schulgemeinschaft in „Platz der Weißen Rose“ umbenennen.
„Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten!“ war das Lebensmotto der christlich orientierten Familie Scholl. Künstler Kieselbach schuf zahlreiche Werke, die an den Widerstand verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gegen den Nationalsozialismus und seine Opfer erinnern. Seine Gedenktafel für die zivilen Opfer des Zweiten Weltkriegs in Mannheim-Neckarau gehört dazu. Für die Mannheimer Abendakademie gestaltete er die Porträtbronzetafel von Paul Eppstein, Leiter der Volkshochschule Mannheim, einem deutschen Soziologe und späterem Judenältesten im Ghetto Theresienstadt, den die Nazis ermordeten. Ebenfalls in Mannheim steht ein Denkmal, das dem in Ludwigshafen in Gestaltung und Material sehr ähnlich ist. Auf dem „Georg-Lechleiter-Platz“ zwischen Schwetzinger und Rheinhäuser Straße steht eine Gruppe von Personen ebenfalls ohne individuelle Züge zwischen Steinquadern. Die Lechleiter-Gruppe war Teil des Widerstands der organisierten Arbeiterbewegung in der Industriestadt Mannheim. Die Kunsthalle verfügt über eine Kleinplastik von ihm.
Doch Kieselbach arbeitete auch als Lehrer unter anderem an der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen in Ludwigshafen, wo er eine Kunsttherapie für Behinderte entwickelte. Als Lehrer und als freischaffender Künstler setze Kieselbach sich gegen Ausgrenzung, Hass und Hetze ein. Das Mahnmal „Gegen Unrecht und Gewalt“ vor dem Geschwister-Scholl-Gymnasium steht für Erinnerung, Aufklärung und den Wunsch nach einer guten Zukunft mit aufrechten Menschen.
Shoppen im Kopf - Denkmal für Ernst Bloch
„Shoppen“ hat Ernst Bloch im Kopf, wenn man sein Denkmal auf dem nach ihm benannten Platz in Richtung Yorckstraße in Ludwigshafen-Mitte ansieht. Etwas heruntergekommen ist die Gegend um den ursprünglich sehr schön angelegten Ernst-Bloch-Platz hinter dem City- Bahnhof. Hier ehrt Ludwigshafen seit 2007seinen großen Philosophen Bloch (1885 – 1977), der in der Südlichen Innenstadt geboren wurde. Hans-Ulrich Naumann, in Ludwigshafen von 1978 bis 2008 Stadtplaner, entwarf die drei Meter hohe und 1,20 Meter breite Tafel aus Corten-Stahl neben dem Yorck-Hochhaus. Die Silhouette von Blochs Profil im Stil eines Scherenschnitts ist über der Unterschrift des Philosophen zu sehen. Das aus dem Stahl ausgefräste Gegenstück hängt an der Frontseite des Ernst-Bloch-Zentrums neben der Walzmühle.
So richtig shoppen kann man in diesem Teil Ludwigshafens nicht mehr. Der „Shoppen“-Schriftzug gehört zu einem Sexshop an der Yorckstraße, über den man durch den Bloch-Kopf „Erotisch shoppen“ lesen könnte, wenn das Yorck-Hochhaus nicht im Weg stünde. Dazu passt, dass der dreimal verheiratete Philosoph in Bezug auf Erotik und Sexualität kein Kind von Traurigkeit war. Immerhin hält sich der Sexshop in der Yorckstraße seit einiger Zeit. Die Geschäfte daneben stehen leer, von der Walzmühle gar nicht zu reden. Traurig findet Naumann den Zustand des von ihm gestalteten Platz rund um sein Kunstwerk. „Vorlage war ein Plakat, das mir der damalige Leiter des Bloch-Zentrums Klaus Kufeld zur Verfügung gestellt hat“, berichtet er. Sein Kollege Uwe Wagner hat sein Konzept für die Blochtafel digital umgesetzt. Corten-Stahl bildet auf der Oberfläche durch Bewitterung unter dem Rost eine spezielle Schicht, die Weiterrosten verhindert.
Das Werk sollte auf den Kreismittelpunkt ausgerichtet sein, von Bäumen umrahmt und mit einer Bank, von der aus man das Denkmal sehen kann. „Wie vom Lastwagen runtergefallen steht die Bank da. Sie ist verdreht, eigentlich müsste sie die gleiche Richtung wie die Stele haben“, bedauert er. Der Platz mit den Bäumen und dem Kunstwerk sollte den Autoverkehr in seiner Wichtigkeit zurückdrängen, erklärt er. Leider sind Bäume eingegangen. „Man könnte doch welche nachpflanzen“, findet Naumann. Vieles an der aktuellen Entwicklung Ludwigshafens frustriert den 77-Jährigen. Wie man hoffen lernen kann, ist bei Ernst Bloch zu lesen. „Der Boden wankt, sie wissen nicht, warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst“, so steht auf der ersten Seite von Blochs Hauptwerk „Prinzip Hoffnung“. Das Sein, was man besitzt und wie man arbeitet, bestimmen das Bewusstsein, war der Neomarxist überzeugt, aber Menschen seien auch mit einem „Überschuss“ ausgestattet. Das drückt sich, so Bloch, in der Kunst, der Musik und in Utopien aus.
Bei Bloch selbst bestimmte das Sein allerdings nicht immer das Bewusstsein und in Liebesdingen war er alles andere als revolutionär. Von Altmänner-Träumen wie in Bildern aus dem Sexshop berichten Blochs Briefe von 1928 bis 1949 „Das Abenteuer der Treue“ an seine Freundin Karola Piotrkowska, herausgegeben 2005 von Anna Czajka. In den Briefen fantasiert er von „Haremsträumen“ mit zwei Frauen. Immerhin sollte „Kulmchen“, Bloch unterschreibt mit „Bärlein“ an dem flotten „Dreier“ teilnehmen dürfen. „Dein Schoß ist auch das Tor zu meiner Arbeit" fabuliert Bloch, nicht zu schweigen von den Brüsten. Was Karola zurückgeschrieben hat, ist bezeichnenderweise nicht überliefert. Die jüdisch-polnische Architektin war 20 Jahre jünger als der Philosoph. Die Beziehung stand vor ihrer Hochzeit 1934 mehrfach vor dem Aus. Bloch hatte zahlreiche Affären. Dass das Kondom schon längst erfunden war, drang nicht ins Bewusstsein des Neomarxisten. 1928 kam seine uneheliche Tochter Mirjam Abele zur Welt.
Das Gegenstück des Denkmals, das Profil des Denkers am Bloch-Zentrum hängt ziemlich hoch. „Eine Affinität zwischen der (marxistischen) Philosophie Blochs und dem von Ihnen erwähnten Geschäft kann ich nicht erkennen“, schreibt Matthias Meyer vom Ernst-Bloch-Zentrum auf die Frage nach Erotik und Sexualität in Blochs Werk. Auch zur Vorlage für das Plakat ist im Bloch-Zentrum nichts Genaues zu erfahren. Unklar bleibt auch, ob man zu dem Bild des Philosophen aufschauen soll oder ob sein Stahl-Kopf nicht geklaut werden soll.
Die nackte Frau im Garten: Die große Träumende (Waldemar Grzimek)
Versonnen schaut die nackte Frau auf den Parkplatz neben dem hellgrünen Bürogebäude in der Heinigstraße 24 bis 26. Ein paar Blätter und Beeren des Gestrüpps, in dem sie liegt, verdecken ihre Scham. Dem Haus, an dessen Seite sie liegt, wendet sie den Rücken zu. Sie ist den Menschen, die hier arbeiten, genauso gleichgültig wie die ihr. Die fast zwei Meter lange und etwa einen Meter hohe Frau ist eine Skulptur aus Bronze. Den Kopf stützt sie auf die rechte Faust. Der linke Arm ist hinter dem Körper versteckt, die Beine nach vorne abgewinkelt. Angespannt und verdreht wirkt sie. Bei der Stadt Ludwigshafen, im Hack-Museum und im Stadtarchiv wusste bis vor einigen Tagen niemand, wie sie heißt und wer der Künstler ist, der sie geschaffen hat.
„Wir haben eine nackte Frau im Garten?“, wundert sich Thomas Klein, seit vier Jahren Niederlassungsleiter von Tertia. Für die Agentur für Arbeit und dem Jobcenter hilft die Firma bei Bewerbungen und vermittelt Arbeitssuchende. Immerhin will er sie sich in seiner Mittagspause mal angucken. Bei dem Kommen und Gehen, das in dem Gebäude herrscht, ist es nicht verwunderlich, dass die Skulptur wenig Beachtung findet. Zahlreiche Firmen, die ihre Büros längst woanders haben, haben ihre Schilder im Eingangsbereich vergessen. Stefan Mörz vom Stadtarchiv kann mit alten Fotos immerhin belegen, dass die Skulptur schon 1978 hier stand, bevor das Haus gebaut wurde.
Licht ins Dunkel über Herkunft und Namen der Skulptur bringt eine pensionierte Kunstlehrerin, die lange am Karolinengymnasium in Frankenthal gearbeitet hat. Nach zahlreichen Exkursionen mit ihren Schüler*innen zieht sie die richtigen Schlüsse. In der Kunsthalle Mannheim liegt die kleine Schwester des riesigen Kunstwerks. Bei dem Objekt in der Heinigstraße handelt es sich um „Die große Träumende“ von Waldemar Grzimek, 1918-1984, einem Cousin des bekannten Tierfilmers und Zoodirektors Bernhard Grzimek. Das bestätigt Keramiker Tomas Grzimek, der Sohn des Künstlers. Die Skulptur ist eine von vier Güssen, von denen einer im Archiv des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen liegt. Gerhard Marcks hat unter anderem die Bremer Stadtmusikanten vorm Rathaus der Hansestadt gestaltet. „Die Berliner Nationalgalerie und die Hessische Lehr- und Forschungsanstalt für Wein-, Obst und Gartenbau in Geisenheim besitzen je einen“, so Grzimek. Unterlagen zufolge hat die Hausbau AG die Ludwigshafener Skulptur gekauft. Eine Nachfolge-Firma konnte bis jetzt nicht ermittelt werden.
Wie ihr Vater sind Tomas Grzimek und seine beiden Schwestern, die Bildhauerinnen Sabina und Jana Grzimek, Künstler*innen geworden. Arie Hartog, Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen, das den Nachlass von Grzimek im Auftrag seiner Kinder betreut, schreibt über die Bedeutung des Werks: „Man muss die Figur als eine grundsätzliche Kritik an das Phänomen „liegende Figur“ sehen. Es geht Grzimek darum, die Volumen nicht wie in einer Landschaft zu lagern (Moore), sondern er will die Massen und Volumen durch Kontraste in Bewegung setzen, um damit im öffentlichen Raum gegen ein selbstverständlich viel größeres Gebäude durchzukommen.“
Das erklärt die Spannung, die man in der Gestalt in Ludwigshafen erkennen kann. Im Netz finden sich zahlreiche Fotos von den oft riesigen Skulpturen Grzimeks, die gespreizte, verrenkte und gebogene Gliedmaßen zeigen. Mit den Werken von expressiven Bildhauern wie Medardo Rosso oder Rodin sind seine Skulpturen vergleichbar. Dabei hat er auch einige ziemlich langweilige Beispiele sozialistisch-realistischer Kunst hinterlassen. Nach den Erfahrungen an den Fronten im Zweiten Weltkrieg wurde er Pazifist und Kommunist und lebte bis zum Mauerbau in der DDR. Von 1967 bis zu seinem Tod lehrte er an der Technischen Universität Darmstadt. Er war in beiden deutschen Staaten aktiv und hatte viele Kontakte.
Seine Werke sind über ganz Deutschland verstreut. In Ludwigshafen gibt es eine Skulptur ohne Titel in Friesenheim vor dem Verwaltungsgebäude der Radrennbahn. Im Volksmund heißt sie „Rennradler“ (Anm. des Seitenerstellers: s. Seite des Künstlers). Vielleicht findet auch die „Große Träumende“ einen Platz in Ludwigshafen, an dem sie besser zur Geltung kommt. Wo sie jetzt liegt, kann sie sich nur wegträumen.
Welt aus den Fugen: Gestörte Ordnung (Margot Stempel-Lebert)
Als ob eine Bombe eingeschlagen wäre, sieht es vor dem Polizeipräsidium Ludwigshafen neben dem Schiebetor aus. „Gestörte Ordnung“ heißt das Kunstwerk von Margot Stempel-Lebert (1923 bis 2009), das seit 1990 in Mundenheim steht. Rostige Stufen führen ein paar Schritte nach oben, dann kippt die Treppe ab. Das Metall scheint in großer Hitze geschmolzen zu sein. Auf der rechten Seite hängt ein Zaun in seinen Angeln, der vor nichts mehr schützt. Man könnte auch an eine Häuserfassade mit leeren Fensterhöhlen denken. Eine halbierte Kugel mit ausgefransten Rändern bildet die Mitte des Kunstwerks, flankiert von zwei bunten Tafeln mit Löchern. An die Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg kann man sich erinnert fühlen.
Den Zweiten Weltkrieg erlebte Stempel-Lebert, die in Landau geboren ist und dort auch starb, von 1942 an in München. An der Akademie der Bildenden Künste studierte sie, bei Philosophie-Professor Kurt Huber, Mittelpunkt der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, wohnte sie. Nachdem die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Huber und die Geschwister Scholl, die nur wenig älter waren als Stempel-Lebert, verhaftet hatte, verhörte sie auch die junge Kunststudentin. Sie versicherte, von der „Weißen Rose“ nichts gewusst zu haben und blieb unbehelligt. Doch vom Schicksal der hingerichteten Mitglieder der Widerstandsgruppe war sie tief betroffen.
Vielleicht begründet diese Erfahrung mit der Gestapo im Dritten Reich eine kritische Einstellung gegenüber der Polizei der Bundesrepublik. Immerhin durfte sie ihre Kritik im Auftrag des Ludwigshafener Polizeipräsidiums zum Ausdruck bringen. Nachdem das Gebäude zwei Neubauten erhalten hatte, hatte Stempel-Lebert über den Weg einer begrenzten Ausschreibung den Auftrag erhalten. Sie wählte rauhes, rohes Material. Man erkennt Spuren der Bearbeitung, Schweißnähte und ungeglättete Schnittstellen sind zu sehen. Mit der geplatzten Kugel scheint die Ordnung der Welt aufgebrochen, ins Wanken geraten, auch die stützenden Pfeiler, Gerüste und Wände können nicht mehr tragen, sind nur noch Fragmente ihrer selbst. Zerstörung und Vergänglichkeit sind das Thema. Ein sehr pessimistisches Weltbild kommt in dem Kunstwerk zum Ausdruck.
Bei Ludwigshafenern kam die „Gestörte Ordnung“ nicht gut an. „In der Bevölkerung ein sehr umstrittenes Kunstwerk: Allein der Titel sei eine unpassende Herausforderung vor einer Ordnungsbehörde, dazu auch der Aufbau, der an Schrott erinnern würde - gemeinhin eine Provokation für die deutsche Ordnung“, ist auf Norbert Huflers Homepage „kunstinlu.de“ zu lesen. Lockerer sieht das die Polizei. „Die Polizei hat den gesetzlichen Auftrag, für Recht und Ordnung zu sorgen. Das Kunstwerk mit dem Titel „Gestörte Ordnung“ vor unserem Polizeipräsidium fordert uns natürlich heraus. Wir verstehen es aber als Ansporn, die alltäglichen Herausforderungen des Polizeiberufs zu meistern und dadurch die Ordnung wiederherzustellen, sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen“, nimmt Behördenleiter Georg Litz Stellung.
Wenn die Polizei ihre Arbeit getan hat und sich die Verbrecher hinter Schloss und Riegel finden, können sie beispielsweise in Frankenthal im Gefängnis über ein weiteres Werk von Stempel-Lebert nachdenken. „Sonnenspirale“ heißt die Arbeit, die in einem Hof der Vollzugsanstalt steht. Zahlreiche Kunstwerke aus Stempel-Leberts Werkstatt schmücken öffentliche Gebäude wie Schulen und Gotteshäuser. Dazu gehört eine Eisenplastik in der Ludwigshafener Staatsphilharmonie. Eine rostige Figur im Foyer spielt hier ein ebenso rostiges Cello. Weitere wichtige Werke sind die Johannisfigur an der Johanniskirche in Pirmasens, der Mennoniten-Gedenkstein in Landau sowie auch das Landauer Synagogen-Mahnmal. Wie bei vielen Künstlern entwickelte sich ihre Formensprache. Ihre Plastiken aus Stein, Holz, Keramik, Bronzeguss und Eisen waren anfangs meist figürlich, später wurden sie abstrakter. Dass die „Gestörte Ordnung“ vielen Menschen nicht gefällt, war Stempel-Leberts Absicht. Sie wollte irritieren, zum Nachdenken anregen, war von ihr zum Werk zu erfahren. Heile Welt haben wir in Deutschland nicht. Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs, die Folgen von Nazi-Terror und braune Gesinnung belasten unsere Gesellschaft auch noch, fast 90 Jahre nach Hitlers Machtergreifung, auch die Polizei.
Stiller Jäger: Der Große Tiger von Maria Ewel
„Die Art, wie er geht, wie er guckt, wie er den Kopf hält, fasziniert mich“, meint Norbert Hufler beim Anblick des „Großen Tigers“. Seit Dezember 2021 schleicht die Raubkatze auf dem Ludwigsplatz. Mitte der 50er Jahre gestaltete die Bildhauerin Maria Ewel die Bronze-Skulptur, die etwa zwei Meter lang und 70 Zentimeter hoch ist. Bären, Löwen, Panther, Pferde, Wale, Pinguine und Schwäne gehören zu ihrem Werk, aber auch Menschen in Bewegung. Die meisten ihrer Kunstwerke sind in Bremen zu finden. Dort lebte die Künstlerin, die 1915 in Königsberg in Ostpreußen geboren ist, von 1946 bis zu ihrem Tod im Jahr 1988. In der Alten Neustadt, einem Bremer Stadtteil, schnürt seit 1955 ein weiterer „Großer Tiger“ durch einen Park. Elegant, aber auch kraftvoll, mitten in der Bewegung erfasst, wirken die Tiere, die Ewel gestaltet hat. Der „Große Tiger“ scheint auf der Jagd zu sein. Doch an seinem früheren Standort, dem Alwin-Mittasch-Platz in Friesenheim, wurde er selbst zur Beute von Vandalen.
Mal bekam der Ludwigshafener Tiger, der seit 1957 im Park vor dem Klinikum die Spaziergänger erfreute, schwarze Streifen, mal verunstalteten die Kunstbanausen ihn mit einem rosaroten Anstrich. Irgendwann fehlte dann noch der Schwanz. 2011 schlug Norbert Hufler, der eine Homepage zum Thema „Kunst im öffentlichen Raum“, betreibt, Alarm. Die BASF, der die Skulptur gehörte, ließ den Großen Tiger abtransportieren. Für die nächsten zehn Jahre verschwand die Raubkatze in den Weiten des Ludwigshafener Firmengeländes. Hufler blieb jedoch dran, fragte immer wieder nach seinem Lieblings-Kunstwerk. „Das Vieh hat es mir angetan, ich habe mich richtig verliebt“, erklärt der 69-Jährige, der unter anderem als Lehrer in der Erwachsenenbildung gearbeitet hat. Nach der Restaurierung schenkte die BASF das Kunstwerk dem Wilhelm-Hack-Museum. Gemeinsam mit der Stadt wählte man den Ludwigsplatz als neuen Standort aus. Der Platz ist öffentlich zugänglich, aber auch ausreichend beleuchtet, viel besucht und damit auch bewacht. Hier jagt der Große Tiger hoffentlich unbehelligt.
Geduckt steht die Raubkatze auf ihren gewaltigen Tatzen, die Schnauze hochgereckt, das Maul leicht, die Augen weit geöffnet, die Ohren nach hinten gelegt. Gewaltige Muskelpakete scheinen unter dem Fell zu spielen. Vor dem inneren Auge spielen sich Jagdszenen ab: Gleich hebt der Tiger ab zum Sprung und reißt seine nichtsahnende Beute. Die Skulptur regt die Fantasie an. Hinter dieser scheinbar spielerischen Leichtigkeit verbirgt sich jedoch viel Arbeit. „In wochenlangen Studien studierte sie die Bewegungen, Haltungen und Eigenarten des jeweiligen Wesens, um am Ende eine Idee, eine Kraft oder einen charakteristischen Wesenszug in Stein, Bronze oder einem ihr entsprechenden Material zu realisieren“, schilderte der Kunsthistoriker Gert Duwe Ewels Vorgehen. Die Gestaltung bewege sich zwischen realistischem Abbild und zeitlos geklärter Form, so der Experte, der einen Bildband über das plastische Gesamtwerk der Künstlerin herausgegeben hat.
Ihre Heimatstadt Bremen ehrte Ewel mit Ausstellungen. Unter anderem kann man sich im Bremer Frauenmuseum über Leben und Werk der gebürtigen Königsbergerin informieren. Drastisch schildert Ewel die Not der Nachkriegsjahre, Kälte, Hunger und harte Arbeit prägten den Alltag der Menschen, auch der Kunststudenten, die wie Ewel Bildhauerei an der Staatlichen Kunstschule in Bremen studierten. „Wir mussten am Tage 200 noch erhaltene Ziegelsteine mit dem Hammer von Zementresten befreien, unentgeltlich“, berichtet sie. Mehrere Schichten Farbreste musste die Firma Habner & Brandner aus Regensburg rund 75 Jahre später mühselig bei der Restaurierung des Großen Tigers entfernen. Das Gießen des neuen Schwanzes war ebenfalls schwierig, weil man ihn exakt an den verbliebenen Stummel anpassen wollte. Mühselig wieder aufbauen, was verantwortungslose Zeitgenossen schnell zerstört haben. Der Fortschritt ist leider kein schnell zupackender Großer Tiger, sondern eine kleine Schnecke. Manchmal läuft sie dazu noch im Kreis.
https://bremer-frauenmuseum.de/2017/03/21/ewel-maria/
Pfalzsäule - von Blasius Spreng
Von der einen Seite betrachtet konkurriert die Säule mit den Türmen der katholischen Kirche St. Ludwig. Von der anderen Seite gesehen, spiegelt sich das Denkmal in den Fensterscheiben des Pfalzbaus. Stolze 21 Meter hoch ragt die „Pfalzsäule“ seit 1968 in den Himmel. Das Kunstwerk vor dem Ludwigshafener Theaterbau haben die Künstler Blasius Spreng (1913 bis 1987) aus München und Ernst Wilhelm Kunz (1912 bis 1985) aus Ludwigshafen gemeinsam gestaltet. Mitten auf dem Platz zwischen Kirche und Theater steht der Obelisk. Ein Modell der Pfalzsäule vergibt die Stadt Ludwigshafen an verdiente Bürger oder an Partnerstädte. Anders als seine Vorgänger etwa in Ägypten ist der Obelisk aus Granit oben breiter als an der Basis. Gegeneinander versetzte Würfel bilden die Spitze. An den Seiten sind mit gutem Auge Gravuren zu erkennen. Sie sollen Väterchen Rhein und verschiedene Nixen darstellen. Über die Säule und ihren Sockel fließt im Sommer Wasser. Windböen verpassen Passanten ab und an mal eine kleine Dusche. Wenn die Sonne scheint, glitzern die Wassertropfen.
Das auffallende Kunstwerk dient vielen Ludwigshafenern und Besuchern der Stadt als Treffpunkt. „Ziemlich groß und ziemlich hässlich“, findet Jochen Fink aus Frankenthal den Obelisken. Er will gleich mit Freunden das Konzert des Sinfonischen Blasorchesters im Pfalzbau genießen. „Das erinnert mich an den Zauberwürfel“, meint Amelie Stelter aus Weinheim, ebenfalls auf dem Weg ins Konzert, zu den verdrehten Würfeln. „Sieht aus wie ein Totempfahl der Indianer“, meint Iris Simon aus Frankenthal. „Gibt es so etwas nicht auch in Ägypten?“, fragt Gamze Özdemir aus Oggersheim.
Als steingewordene Strahlen des Sonnengottes Ra sollten Obelisken in der Vorstellung der Menschen im alten Ägypten die Erde mit der Welt der Götter verbinden. Paarweise standen sie mit vergoldeter Spitze vor Pyramiden oder Tempeln. Die Hieroglyphen an den Seiten preisen meist die Taten des Pharaos, der sie erbauen ließ. Stehen die Touristen heute vor den Gotteshäusern in Ägypten, bekommen sie oft nur einen zu sehen. Der Obelisk von Luxor etwa steht seit dem 19. Jahrhundert auf dem Place de la Concorde in Paris, der aus Heliopolis auf dem Petersplatz in Rom. Schon die römischen Kaiser ließen Obelisken als Zeichen ihrer Macht abtransportieren und in Rom aufstellen. Die Macht übernahm später die katholische Kirche. Sie ließ die Obelisken auf Plätze umstellen, auf denen sie Zeichen setzen wollte. Sie sollten Pilgern den Weg zeigen.
Orientierungslos fühlten sich viele Menschen nach 1945. Stark von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs geprägt waren auch die Künstler Spreng und Kunz, die die Pfalzsäule schufen. Nach einer Lehre als Maler und Dekorationsmaler besuchte Kunz 1938 bis 1939 die Akademie der Bildenden Künste München. Danach war er als Soldat der Wehrmacht in Frankreich, in Afrika und auf dem Balkan eingesetzt. 1959 siedelte Kunz auf Einladung der Stadtverwaltung nach Ludwigshafen am Rhein über. 1963 wurde er Gründungsmitglied der Künstlervereinigung Rhein-Neckar. Zu seinen Ehren trägt in Ludwigshafen-Oggersheim in Neubaugebiet Melm eine Straße seinen Namen.
Spreng studierte nach einer Glasmaler- und einer Goldschmiedelehre an der Staatsschule für angewandte Kunst in München. Danach unternahm er zahlreiche Reisen nach Frankreich, Holland, Italien, Balkan, Türkei und nach Ägypten. Während des Krieges gestaltete er im Auftrag der Nationalsozialisten Radierungen mit Architektur-Motiven wie Bunkern. Nach 45 schuf er im Rahmen der Reihe „Kunst am Bau“, unter anderem den Mainzer Fastnachts-Brunnen und die Stuttgarter Liederhalle. Beide Künstler könnten während des Krieges Obelisken bewundert haben.
Auch der Pfalzbau war vom Krieg geprägt. Er ersetzte den Pfalzbau am Berliner Platz aus dem Jahr 1928, den Bomben im September 1943 und Januar 1945 zerstört hatten. Das Jahr des Wiederaufbaus 1968 war von zwei wichtigen Strömungen geprägt. In Deutschland gab es das Wirtschaftswunder und Studentenproteste. Die Pfalzsäule als Zeichen von Macht und Reichtum? Als Spiegel der Gesellschaft? Mit der schmalen Basis und der breiten Spitze ein Protest gegen die bestehenden Verhältnisse? Als Totem? Als Wegweiser? Als Verbindung zwischen Ludwigshafen und Gott, platziert zwischen einem Kultur-Tempel, dem Pfalzbau, und einer katholischen Kirche?
Die Katholische Kirche mag vielen Menschen 1968 noch den Weg gezeigt haben. Heute verlassen die Gläubigen sie scharenweise. Bei der Errichtung des Pfalzbaus im Jahr 1968 mag es in Ludwigshafen Reichtum und Macht gegeben haben und der Theaterbau als Tempel der Kultur gegolten haben. Ludwigshafen wirkt im Jahr 2024 ein wenig gottverlassen. Wohin der Weg der Stadt gehen soll, ist mit vielen Fragezeichen versehen. Doch es gibt hier und in der Region Menschen, die mit viel Herzblut Kultur schaffen. Ludwigshafen und die Pfalzsäule mag man hässlich finden. Sie sind aber alles andere als langweilig.
Ludwina - Erich Koch
Die Arme hoch zum Himmel. Mitten auf dem Ludwigsplatz sitzt eine nackte Frau. Aus Bronze ist die Skulptur des Bildhauers Erich Koch (1924 – 2014). Seit 1988 streckt Ludwina ihre Hände in Ludwigshafen-Mitte etwa 2,30 Meter in die Höhe. Die Stadtsparkasse hat sie zu ihrem 100-jährigen Bestehen gestiftet. Auf dem Sockel und zwischen den Beinen der schlanken jungen Frau sind Blütenblätter zu sehen. Das Wasser eines Brunnens plätschert zu Füßen der Figur. Ludwina soll den Frühling darstellen. Sie war ursprünglich ein Werk eines vierteiligen Jahreszeiten-Zyklus.
An den Sonnengruß, eine Yoga-Figur, erinnert die Haltung der Frauenskulptur, die ins Morgenlicht nach Osten schaut. Sehr lang und hochgereckt sind ihre Arme. Den Kopf hält sie etwas gesenkt. Konzentriert und ein bisschen traurig wirkt ihr Gesicht. Auf dem zarten Busen spiegelt sich die Sonne. Die Beine sind angewinkelt, aber nicht zum Schneidersitz verschränkt. Den Schritt verdecken Blütenblätter. Yoga war 1988 noch nicht so modern wie heute. Vielleicht war Koch, der in München lebte und dort an der Akademie der Bildenden Künste lehrte, jedoch seiner Zeit voraus. 64 Jahre alt war Koch, der in Roßbach in der Pfalz geboren ist, bei der Einweihung der Skulptur. In diesem Jahr würde er seinen 100. Geburtstag feiern. Im Stadt- und Heimatmuseum Kusel läuft aus diesem Anlass eine Ausstellung mit einem Querschnitt seiner Werke.
Etwas Abgründiges, Dunkles schwingt bei seinen Figuren von Menschen und Tieren mit. So ist es auch bei der zwar lebensbejahenden und erotischen, aber auch traurigen Ludwina. Menschen und Tiere, denen Kopf oder Gliedmaßen fehlen, hat Bildhauer Koch immer wieder gestaltet. In zahlreichen Ausstellungen, in bedeutenden Sammlungen – etwa in der bayerischen Staatsgemäldesammlung, im Lehmbruck-Museum Duisburg, dem Von-der-Heydt-Museum Wuppertal, der Sammlung Burda Offenburg und in der Pfalzgalerie Kaiserslautern und auch im öffentlichen Raum sind sie zu bewundern. „Der Gestürzte“, die Figur eines Wolfes, der elendiglich stirbt, ist auf der europäischen Skulpturenstraße des Friedens an der Wasserburg Reipoltskirchen zu sehen.
Krieg und Gefangenschaft haben über zehn Jahre seines Lebens geprägt. Mit 18, 1942, wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs geriet Koch in sowjetische Gefangenschaft. Erst im Jahr 1954 kam er wieder frei. Noch im gleichen Jahr begann er zu Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München zu studieren. Nach vier Jahren übernahm Koch dort die Leitung der Werkstätte für Metallbearbeitung in der Bronzegießerei. 1964 wurde er Lehrer für Erzguss. Von 1975 bis 1990 war Koch Professor für Bildhauerei an der Münchner Kunstakademie. Er lebte in Schwabing.
„Von seiner Zeit in russischer Gefangenschaft erzählt er eine lustige, letztlich aber todtraurige Geschichte, in der es um Aufrichtigkeit und Vertrauen beim täglichen Kampf ums Überleben im Lager in Sibirien geht. „Aber davon schreiben Sie bitte nichts!“, wünscht er sich im Alter von 87 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Wie viele Menschen seiner Generation konnte und wollte er über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und danach nicht reden. Er ließ seine ausdrucksvollen, traurigen Werke sprechen. Wie bei vielen anderen Werken arbeitete er bei der Ludwina mit vorgefertigten Gipsschalen, was die Arbeit vereinfachte. „Aber gleichzeitig unterstreichen die aufgebrochenen Formen einen Schritt zur Abstraktion, der auch das Vorläufige seines Werkes betont“ sagt Koch-Kenner und Historiker Herwig Buntz. Am Anfang seines Studiums wohnte Koch bei Buntz´ Familie, die wie er aus Roßbach stammte, in deren Haus in München. Zahlreiche deutsche Bildhauer, unter anderem Gernot Rumpf und Martin Schöneich aus der Pfalz, hat sein Schaffen und seine Lehre geprägt.